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Rosa

Rosa

Titel: Rosa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felix Thijssen
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Wochenenden verbrachte ich immer bei meinen Eltern, mit Betty, sie war damals drei Jahre alt. Alle Mieter liebten Betty, auch Galip. Man merkte ihnen an, dass sie ihre eigenen Familien in der Türkei vermissten, und sie wurde schrecklich verwöhnt. Obwohl wir eigentlich keine Pension betrieben, kochte Doris, meine Mutter, jeden Sonntag ein Essen für alle. Im Sommer aßen wir im Garten unter einem Riesensonnenschirm, den meine Eltern selbst gemacht hatten.«
    »Hatte Galip auch eine Familie in der Türkei?«
    Die Ironie berührte sie nicht.
    »Ja, natürlich. Er war fünfundvierzig und schon seit fünfzehn Jahren hier. Jeden Monat schickte er seiner Frau und seinen beiden Kindern Geld. Dass er schon eine Familie hatte, spielte für mich keine Rolle, und für ihn auch nicht.«
    »Eine andere Kultur«, bemerkte ich.
    Sie schüttelte energisch den Kopf, wenn ich dabei an Seemannsliebe oder muslimische Polygamie dachte, hätte ich nichts begriffen. »Und wenn er Chinese gewesen wäre«, sagte sie. »Ich habe mich einfach in Galip verliebt und er sich in mich. Galip war ein richtiger Geliebter.« Sie schwieg einen Moment. »Ich habe es nie übers Herz gebracht, Karel zu erzählen, wie romantisch und wundervoll das war, es würde ihn nur verletzen. Karel weiß genau, dass die Welt nicht aufhört, sich zu drehen, wenn ich mit ihm im Bett liege, aber es ist egal, auch ihm, man kann auch mit ein bisschen weniger sehr gut miteinander leben. Verstehen Sie das?«
    Ich nickte. Wenn wir nicht rechtzeitig einen Kompromiss gefunden hätten, wäre die Menschheit schon vor fünftausend Jahren ausgestorben. »Ist er in die Türkei zurückgekehrt?«, fragte ich.
    »Ja, aber anders, als Sie meinen. Wir haben zwei Jahre lang in meiner Wohnung zusammengelebt und das waren die schönsten Jahre meines Lebens.«
    »Wie dachten Ihre Eltern darüber?«
    »Wir gingen jeden Sonntag zu ihnen essen, mit Betty, das war immer etwas Besonderes, meine Eltern waren gute Menschen.« Sie lächelte wieder und dann legte sich eine Wolke über das Blau. »Ich habe Galip in der Türkei begraben. Er erkrankte an Krebs. Als er herkam, arbeitete er mit diesem Gipszeug, wie heißt das noch, das hat ihn erwischt.«
    »Asbest«, sagte ich.
    Sie nickte. »Es war unheilbar. Er wollte seine Familie noch einmal sehen. Kurz vor seinem Tod sind wir hingefahren. Ich war schwanger mit seinem Sohn, aber man sah noch nichts. Seine Frau verstand es, wir konnten uns zwar nicht unterhalten, aber sie war eine liebenswerte, intelligente Frau. Sie hatten eine erwachsene Tochter und einen sechzehnjährigen Sohn. Waren Sie schon mal auf einer türkischen Beerdigung?« Ihre Augen wurden feucht. »Dieser ganze Teil meines Lebens war wie im Märchen. Manchmal stellt man sich im Nachhinein solche Fragen, so wie bei Kennedy, wenn der nicht erschossen worden wäre, wäre er vielleicht ein mittelmäßiger Präsident geworden und man hätte ihn längst vergessen, wie Johnson, und vielleicht wäre das Leben mit Galip zum Alltagstrott verkommen, und bestimmt hätte es eines Tages Probleme mit seiner Familie gegeben, so konnte es nicht ewig weitergehen. Doch diese beiden Jahre werden immer der schönste Teil meines Lebens bleiben, das kann mir niemand mehr nehmen.« Sie stand auf. »Der Kaffee ist bestimmt schon ganz eingekocht«, sagte sie und verließ rasch das Zimmer.
    Ich verschränkte die Arme und lehnte mich in die Rosen. Ich dachte an meine armenische Klientin und fragte mich, wie in drei Teufels Namen ich ihr erklären sollte, dass das Herz ihrer Tochter in einem kriminellen Mann schlug, der nicht nur für Rosas Tod verantwortlich, sondern obendrein halber Türke war und damit zum Erbfeind gehörte. Statt das Erbe abzuwarten, hatte er sich mit einem Vermögen an Diamanten aus dem Staub gemacht.
    »Was grinsen Sie denn so?« Gerda stellte ein Tablett auf den Tisch. »Hat Ihnen die Märchenstunde gefallen?«
    »Ja.« Lächelnd schaute ich sie an. »Aber wo steckt Victor?«
    Sie schenkte Kaffee ein. Sie nahm Zucker und ich fummelte einen dieser Minibehälter mit Milch auf. Dabei bekleckere ich mir jedes Mal die Finger.
    »Was ist das eigentlich für eine Dame?«, fragte sie dann.
    »Sie ist reich, verwitwet, hat niemanden mehr.« Vorerst ließ ich Armenien noch aus dem Spiel. »Sie glaubt, das Herz sei der Sitz der Seele. Im Grunde will sie einfach ihre Tochter wiederhaben. Irgendwann wird sie schon einsehen, dass das unmöglich ist, aber ich habe den Auftrag angenommen und versuche, ihn

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