Rosa
drehte sich um. »So heißt er.«
Galip und Siroun. Hatten sie mehr gemeinsam gehabt als Verliebtheit und französische Impressionisten? »Ist das ein armenischer Name?«
Sie kicherte. »Eher im Gegenteil.« Ihre blauen Augen lachten mit. Ich sah ihre Tochter in ihr, nur war sie kleiner und zehn Kilo zu schwer. Sie konnte nicht viel älter sein als Arin Reider, aber diese Dame hatte mit ihren Händen gearbeitet, das war der Unterschied.
Sie führte mich in ein helles Wohnzimmer mit Aussicht auf Bäume und Sportplätze. In einer Ecke stand ein professioneller Nähtisch; ringsum war der Fußboden übersät mit abgeschnittenen Stofffetzen und auf einem Bügelbrett daneben lag ein Stapel neuer Hosen. Zwei Leute hatten an einem noch nicht abgeräumten Esstisch am Fenster gegessen.
»Entschuldigen Sie die Unordnung«, sagte sie. »Karel, mein Freund, ist eben erst gegangen. Seine Spätschicht beginnt um sieben Uhr, dann essen wir immer früh. Er arbeitet bei einer Sicherheitsfirma. Ich räume erst mal ab. Soll ich gleich Kaffee aufsetzen?«
Sie nahm ein Tablett und räumte Teller, Besteck und zwei Glasschüsseln darauf. An einer von ihnen klebte Pudding, der Rest vom Nachtisch. Gerda verschwand damit in der Küche. Auf der Fensterbank standen zahlreiche Grünpflanzen, das Sofa war mit sandfarbenem Leinenstoff bezogen, auf dem große gelbe Rosen und grüne Efeuranken prangten. Ein Seitenfenster ließ durch einen Spalt Gerüche von Amstelveen nach einem Regenschauer herein und das gedämpfte Dröhnen des Verkehrs, der nie aufhörte, auch nicht zur Essenszeit. Auf dem Büfett standen Fotos von Betty und ihrem Bruder, darüber hing das Porträt eines gut aussehenden, dunkelhaarigen Mannes in den Vierzigern mit glatten Haaren und Saddam-Schnauzer. Im Rahmen steckten einige trockene Heidekrautzweige.
Gerda kehrte zurück, nahm die Tischdecke ab und ging damit zu dem Seitenfenster an der Nähmaschine. »Ich arbeite halbtags als Änderungsschneiderin in einem Modehaus«, sagte sie mit einem Nicken auf die Unordnung. »Hosen kürzen, andere Knöpfe an Röcke oder Jacken nähen, Sie wissen schon. Manchmal nehme ich mir Arbeit mit nach Hause, diese Hosen müssen alle nach Maß umgesäumt werden.« Sie öffnete das Fenster und klopfte die Tischdecke aus, kehrte damit zurück an den Tisch, faltete die Decke und auch die Servietten ordentlich zusammen und verstaute alles im Büfett. »So«, sagte sie. »Das war’s, der Kaffee kommt gleich. Setzen Sie sich doch.«
Das tat ich. »Woher kommt der Name Galip?«
Ihr lächelnder Gesichtsausdruck blieb. »Galip kommt aus dem Türkischen und bedeutet Sieger, genau wie Victor. Offiziell heißt er Galip Victor, also eigentlich Victor Victor.«
Sie setzte sich mir gegenüber auf das geblümte Sofa und legte ihre kräftigen Hände auf die Knie. »Für mich heißt er Galip, genau wie sein Vater, aber er und Betty mochten Victor lieber. Ich kann das gut verstehen, denn als Türke hat man nun mal schlechtere Chancen hier, da können wir in unserem nasskalten kleinen Land noch so fortschrittlich tun.«
»Lebt sein Vater in den Niederlanden?«
»Galip?« Wieder lächelte sie. »Wenn das so wäre, würde Karel hier nicht wohnen. Was er übrigens genau weiß.« Sie verstummte und starrte das Porträt mit den Heidekrautzweigen an. »Einmal im Leben begegnet man seiner großen Liebe«, sagte sie. »Wenn man Glück hat. Ich hatte dieses Glück und es hieß Galip.«
»Und Bettys Vater?«
»Ich bin eine zweifach ledige Mutter. Bettys Vater war ein Schlappschwanz.« Sie schüttelte den Kopf. »Einer dieser typischen Feiglinge, die nur ihren Spaß wollen. Als ich schwanger wurde und mich weigerte, abzutreiben, zog er prompt mit seiner Familie nach Belgien, ich habe ihn nie wiedergesehen. Aber ich wollte das Kind. Unseren Lebensunterhalt konnte ich selbst verdienen, das habe ich immer getan.«
Probleme mit verheirateten Männern zogen sich wie ein roter Faden durch das Leben von Mutter und Tochter. »Galip entschädigte mich für alles«, sagte sie, und ihre himmelblauen Augen strahlten. »Soll ich Ihnen davon erzählen?«
Betty musste nett über mich gesprochen haben. Gerda setzte sich hin.
»Mein Vater war Kranführer und meine Mutter vermietete Zimmer an Türken, um etwas dazuzuverdienen«, begann sie. »Die meisten waren Kollegen meines Vaters vom Bau, manchmal drei, vier gleichzeitig, meine Eltern hatten ein großes Haus. Ich war ihre einzige Tochter, ich wohnte schon allein, aber die
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