Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)
fünfundvierzig Kilo, hatte bleibende Peitschennarben auf dem Rücken, an der linken Hand zwei Finger weniger, die ihm abgehackt worden waren, auf der rechten Wange eine sternförmige Narbe von einer Messerstecherei (die er gegen sechs Vietnamesen verlor) und war auf einem Ohr so gut wie taub von Geschützdonner und besonders heftigen Schlägen.
Sein linkes Knie war zweimal zertrümmert worden, als er im Käfig steckte, deshalb humpelte er beim Gehen. Gegen die körperlichen Schmerzen nahm er Medikamente, doch gegen die geistigen Qualen gab es nichts.
Unsere Regierung tat überraschenderweise so, als seien diese Probleme überhaupt nicht vorhanden, und wenn die Leute hörten, dass mein Vater in Vietnam gewesen war, reagierten sie alles andere als freundlich.
Ich weiß noch, dass er Momma mit gereizter, rauer Stimme erzählte: »Man hat mich so oft als Kindermörder und Vergewaltiger beschimpft, dass ich es nicht mehr zählen kann. Ich habe nie ein Kind getötet und nie eine Frau vergewaltigt. Wie kann es sein, dass ich in einen Krieg geschickt wurde, in den ich nicht wollte? Ich wollte nicht kämpfen, habe nicht an den Kampf geglaubt, all meine Kameraden sind gefallen, ich wurde zusammengeschlagen, war Kriegsgefangener und soll jetzt, wo ich wieder zu Hause bin, der Böse sein? Ich, ein Vergewaltiger? Ich, ein Kindermörder? Wie kann das sein? Wie zum Teufel kann das passieren? «
Mommas Reaktion darauf war immer, Dad in den Arm zu nehmen. Einmal sagte sie mit vor Erschöpfung schwarzen Augen zu mir: »Ich weiß nicht, was ich sonst machen soll. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Seine Dämonen sind mächtiger als wir.«
Nach einem einzigen Besuch weigerte er sich, erneut zum Psychiater zu gehen. Der Psychiater hatte ihn gefragt: »Wie haben Sie sich bei Ihrem Leben in Vietnam gefühlt ? Wütend? Traurig? Erzählen Sie mir von Ihren Gefühlen .«
Ich hörte, wie er Momma erzählte, er habe dem Psychiater gesagt, die Fragen hätten in ihm das Gefühl ausgelöst, den Psychiater umbringen zu wollen.
Das war nicht gut angekommen.
Dad hatte es jedoch geschafft, seinen Job als Vorarbeiter in einer Fabrik zu behalten. Bei der Arbeit war seine Aggressivität manchmal ein Problem, ebenso seine Reaktion auf plötzlichen Lärm. Er duckte sich und ging in Deckung, sprang über alles hinweg, was ihm im Weg war. Zu seiner Ehre muss man sagen, dass er mehrmals auch alle anderen mitgerissen hatte, die in seiner Nähe waren, um ihnen das Leben zu retten, was ihn seltsamerweise bei vielen Kollegen beliebter machte.
Wie sein Chef zu Momma sagte, nachdem Dad ihn zu Boden gerissen hatte: »Niemand, und ich meine wirklich niemand, River, hat je versucht, mir das Leben zu retten. Ich mag Ihren Mann.«
Aber Dad konnte auch sanft und liebevoll sein und Geschichten erzählen, er baute uns ein Baumhaus und sagte, er liebe seine »bezaubernden Bommarito-Bambinos«. Er sang uns Lieder vor und kümmerte sich ganz besonders um Henry.
Und der Mann konnte kochen! Ich glaube, in der Küche Schönes zu schaffen, unsere Mahlzeiten mit Gewürzen, Aromen und Vielfalt zu verfeinern, war für ihn das Paradies. Da gab es keinen hoffnungslosen Krieg, keine Querschläger, keinen neben ihm verhungernden Gefangenen, keinen Sumpf, in dem sich ein tödlicher Feind versteckte. Da waren nur er, seine Kinder, seine Küche – etwas, das er unter Kontrolle hatte, ein Geschenk, das er seiner Familie machen konnte.
»Essen ist Kunst, Mädchen, vergesst das nicht«, pflegte er zu sagen.
Wir aßen nicht nur, wir speisten. Er hackte, würfelte, schnitt, dünstete, sautierte, schmorte und marinierte. Soßen wurden geträufelt, Gemüse überbacken, Brot zu goldenen Zöpfen geflochten.
Seine Nachspeisen waren legendär. Nichts war ihm zu schwierig für seine Familie. Er holte seine Rezeptbücher heraus, wir Mädchen suchten uns ein Dessert aus und bereiteten es gemeinsam mit ihm zu. Alles sah immer aus wie auf dem Foto im Buch.
Aber in der Nacht, als mein Vater die entsicherte Waffe an Mommas Kopf hielt, wusste er, dass es vorbei war. Er war erledigt. Wenn wir nicht in Gefahr geraten sollten, durfte er keinen Tag länger bei uns bleiben.
Er verschwand früh am nächsten Morgen. Ich hörte ihn mit Momma sprechen. Ich versteckte mich im Wandschrank und ließ die Tür einen Spaltbreit offen. »Alles wird gut, River. Das weiß ich. Ich liebe dich. Ich werde dich immer lieben. Kein Tag wird vergehen, an dem ich nicht an dich denke, mein Schatz.«
Momma hatte
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