Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)
ist es für jeden beängstigend, von einer Bande gemeiner Jugendlicher gejagt zu werden. Aber wenn man geistig behindert ist wie Henry, wird diese Furcht riesengroß. Es ist, als würde man von einer schwertschwingenden Armee angegriffen, während man gleichzeitig unter Sirenengeheul in einem feuchten Tunnel mit zischenden Schlangen steckt und keinen Weg hinaus findet oder auch nur begreifen kann, wieso diese Katastrophe überhaupt passiert ist.
Blutend und verdreckt stürzte Henry schreiend zur Haustür herein. Eine ganze Stunde lang hörte er nicht auf zu schreien. Er weckte Momma, die wieder mal in einem tiefen schwarzen Loch steckte, und sie begann zu wimmern. Die beiden klammerten sich aneinander. Schließlich konnten wir Henrys Hände von Momma lösen, seine Wunden säubern und verbinden, während er uns unter Tränen, einem Schluckauf und hyperventilierend erzählte, was passiert war.
Am nächsten Tag warteten Cecilia, Janie und ich nach der Schule auf unsere Opfer. Wir sahen, dass Henry aus der Schule kam und sich auf den Heimweg machte, er trug seine Lieblings-Baseballkappe mit dem Frosch und ein T-Shirt mit dem Aufdruck »Buh!« Wir hatten ihm gesagt, dass wir ihn beschützen und die Bösen abfangen würden, aber er war so nervös, dass er zitterte und ganz merkwürdig lief.
Dieselbe Bande wie am Vortag nahm Henrys Verfolgung auf. »Heh, Vollidiot! Vollidiot! VOLLIDIOT! Spasti! Ja, du!«
Voller Panik begann Henry zu rennen, die Froschkappe flog ihm vom Kopf.
Wir Schwestern liefen ebenfalls los, näherten uns den Wichsern nur leise aus dem Hinterhalt. Mit solchen Dingen hatten wir Erfahrung.
»Eins …«, keuchte Cecilia, als wir die drei Jungen, die Henry verfolgten, fast erreicht hatten. Sie war schon damals stämmig, aber dennoch schnell. »Zwei …« Die Jungs konnten uns nicht mal hören, so laut trampelten ihre Füße, grölten sie und brüllten: »He, Arschgesicht! Du Vollidiot! Du bist ein Spasti! Dumm wie Scheiße!«
»Drei!«, schrie Cecilia. Ihre Wut kochte über.
Bei »drei« stürzte sich jede von uns auf einen der Wichser.
Wir brachten sie auf dem Gehsteig zu Fall, von der Wucht des Aufpralls blieb ihnen die Luft weg. Ich hörte den Körper meines Opfers knacken. Wir machten keine halben Sachen. Das gab’s bei uns nicht. Außerdem waren wir sauer. Sauer auf diese Typen, die den armen lieben Henry quälten, sauer, weil Momma wieder im Bett lag, sauer, dass nichts zum Essen im Haus war, sauer, weil wir keinen Dad hatten, sauer, dass das Telefon wieder abgestellt war, sauer wegen unserer schäbigen BHs. Die Liste der Gründe, warum die Bommarito-Mädchen sauer waren, war endlos.
Wir verprügelten die Jungs nach Strich und Faden, ließen unseren ganzen Hass an ihnen aus, während Henry nach Hause lief, wie besprochen, nachdem er seine Froschkappe wieder aufgesetzt hatte. Cecilia knallte den Kopf eines Jungen auf den Gehsteig. Ich zog das Knie an und stieß es einem Jungen gegen die Nase.
Blut. Das ganze Gesicht voll.
Janie zählte. »Eins, zwei, drei, vier. Eins, zwei, drei, vier. Eins, zwei …« Mit jeder Zahl schlug sie auf einen Jungen ein. Sie besaß einen Schlagring, daher hatten wir ihr den größten von den drei Typen überlassen.
Sie wehrten sich, doch es half nichts. Nachdem ich meinem Gegenüber in den Unterleib geboxt hatte, zog ich ein kleines Messer hervor. Cecilia und Janie rissen den anderen beiden an den Haaren den Kopf nach hinten, damit sie zusahen, wie ich dem dritten die Messerspitze in den Hals bohrte.
»Komm – ja – nie – wieder«, brüllte ich, mein Gesicht ganz dicht an dem des vor Angst erstarrten Wichsers, »unserem Bruder zu nahe! Hast du das kapiert? Habt ihr das verstanden, ihr Wichser? Wenn doch, werde ich euch umbringen. Kapiert, ihr Wichser?«
Janies Gegner versuchte hochzukommen. Klatsch. »Eins. Zwei. Drei. Vier.« Klatsch. Noch mehr Blut.
Cecilias Opfer versuchte sie abzuschütteln. »Runter von mir, du fette Sau!«
Dieser Satz brachte sie zum Kochen. Als sie mit ihm fertig war, hatte er sich zu einer Kugel zusammengekrümmt und winselte nach seiner Mutter.
Mein Gegenüber bewegte sich nicht. Ich lächelte ihn zuckersüß an, das Messer immer noch an seine Kehle gesetzt. »Na, willst du mit mir zum Abschlussball gehen?«
Er erbleichte.
»Ich könnte dir meine Sammlung Messer zeigen.« Wieder lächelte ich. Dann beugte ich mich hinunter und flüsterte: »Ich schneid dir deinen Pimmel ab, wenn du meinem Bruder noch mal zu nahe
Weitere Kostenlose Bücher