Rose Harbor und der Traum von Glueck
rauen Klima, dass heiße Kaffegetränke sich großer Beliebtheit erfreuten.
» Wann bist du angekommen? « , fragte Roger, als er sich in die Schlange einreihte.
» Vor einiger Zeit « , erwiderte sie unbestimmt und hoffte, er schöpfte keinen Verdacht.
Zum Glück fragte das Mädchen hinter dem Tresen gerade nach ihren Wünschen, wodurch Roger von ihrer vagen Auskunft abgelenkt wurde.
» Was hättest du gern? «
Weil sie selten etwas anderes als schwarzen Kaffee trank, zögerte Abby und musterte ratlos die endlos lange Liste mit den verschiedenen Varianten. » Ach, einen normalen Latte, denke ich. «
» Willst du ihn nicht ein bisschen aufpeppen? « , schlug Roger vor.
Abby studierte die Karte. Dutzende von Geschmacksrichtungen standen zur Auswahl. » Bestell mir das, was du für Victoria holst « , sagte sie endlich und war gespannt, was sie bekommen würde.
» Drei heiße Vanille-Chai-Latte mit einem Schuss Espresso und einem Mokkakeks mit Karamell. Kein Sahnehäubchen. «
Das Mädchen hinter dem Tresen griff sich drei Becher, schrieb rasch die Bestellungen darauf, bevor ihre Finger über die Tasten der Registrierkasse flogen. Für die Summe, die Roger beglich, hätten sie anderswo einen kompletten Lunch bekommen.
Anschließend gingen sie zur Getränkeausgabe. Das gurgelnde Geräusch beim Aufschäumen der Milch erfüllte den Raum. Nachdem sie ihre Becher in Empfang genommen hatten, steuerte Roger auf einen Fenstertisch zu.
Abby probierte ihren Chai-Latte mit Espresso und musste zugeben, dass er köstlich war. Vermutlich enthielt er so viele Kalorien wie ein ganzes Sandwich, aber das war ihr egal. Sie hatte ohnehin nichts zum Lunch essen wollen.
» Und? Schmeckt er? « , fragte Roger, der sie genau beobachtete.
» Nicht schlecht « , räumte sie ein.
Ihr Bruder hatte sich kaum gesetzt, als er schon wieder aufsprang und nach draußen auf den Parkplatz deutete. » Da ist Victoria! « , sagte er mit leuchtenden Augen.
Abby spähte über seine Schulter und sah, wie ihre zukünftige Schwägerin aus dem Auto stieg. Sie hatte direkt neben Abbys Leihwagen geparkt. Victoria war genauso hübsch wie auf dem Foto, wenn nicht gar noch attraktiver. Klein und zierlich mit schulterlangem dunklem Haar, trug sie einen weichen pinkfarbenen Pullover und eine weiße Hose unter einem grauen Wollmantel, den sie nicht zugeknöpft hatte. Abby nippte noch einmal an ihrem Chai-Latte und stand dann auf, um die Frau zu begrüßen, der ihr Bruder sein Herz geschenkt hatte.
Roger küsste seine Verlobte leicht auf die Lippen, legte ihr dann einen Arm um die Schultern und führte sie zum Tisch, wo Abby wartete.
» Victoria, das ist meine Schwester. Abby, meine zukünftige Frau. « Er strahlte vor Stolz und Liebe.
» Ich freue mich, dich kennenzulernen « , sagte Victoria. » Roger hat mir schon so viel von dir erzählt. «
Unwillkürlich runzelte Abby die Stirn, denn die Worte konnten bedeuten, dass Victoria von dem Unfall wusste. Was bei Licht betrachtet nicht verwunderlich wäre. Wieder einmal hatte Abby das Gefühl, als ob ihr Leben in jener verhängnisvollen Nacht in zwei Hälften gespalten worden sei.
Vor dem Unfall.
Nach dem Unfall.
Und dazwischen türmte sich ein Berg von Ängsten und Ungewissheiten auf. Was wäre, wenn? Gewaltsam unterdrückte Abby die vertraute Mischung aus Schmerz, Schuld und Reue, die von ihr Besitz ergreifen wollte. Heute nicht, heute durften diese Empfindungen nicht die Oberhand gewinnen. Und auch morgen nicht.
Nach einem Moment betretenen Schweigens begriff sie, dass Roger und Victoria auf eine Antwort warteten.
» Ich finde es ebenfalls ganz großartig « , stieß sie endlich hervor.
Roger zog einen Stuhl für Victoria heran.
» Und? Hast du mit dem Cateringservice alles abgesprochen? «
Victoria seufzte tief und nickte, als sie auf den Stuhl sank und sich aus ihrem Mantel schälte.
» Was war denn los? « , fragte Abby.
» Nichts Besonderes, nur der Endspurt für morgen. « Victoria griff nach Rogers Hand. » Meine Mutter befasst sich seit Wochen mit nichts anderem als mit dieser Hochzeit … «
» Seit Monaten « , verbesserte Roger sie.
» Lass uns froh sein, dass sie sich um die gesamte Organisation kümmert. «
» Was ist mit der Probe und dem Dinner heute Abend? « , erkundigte sich Abby.
Vermutlich hatten Victorias Eltern, die in Cedar Cove lebten, auch das in die Hand genommen. Ihre eigene Mutter hatte jedenfalls nie davon gesprochen, dass sie sich um irgendetwas kümmern
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