Rosehill 01 - Die Tochter des Lords
was sollten Sie wirklich nicht tragen. Wahrscheinlich hat Ihnen jemand eingeredet, das sei im Wilden Westen fashionable. Oder haben Sie’s gelesen?«
»Ich habe gelesen, auf diese Art von Ausrüstung dürfe man hier draußen nicht verzichten.«
»O Gott!«, stöhnte sie.
Jetzt hatte ihr Bruder lange genug gewartet. Er lehnte den Mehlsack an die Wand und bewegte die Schultern, als müsste er verkrampfte Muskeln lockern. Dann ging er zur Tür, und weder Harrison noch Mary Rose traten ihm in den Weg. Der Hinterhalt schien Cole nicht sonderlich zu stören. Bevor er die Tür einen Spaltbreit öffnete, zog er seinen Revolver aus der Halfter.
An einen Pfosten gelehnt, wartete Douglas neben dem Wagen, und Cole pfiff, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Harrison beobachtete Mary Rose, deren Verhalten ihn verwirrte. Sobald ihr Bruder die Waffe gezogen hatte, hielt sie sich beide Ohren zu und verdrehte resignierend die Augen.
»Runter, Douglas!«, befahl Cole, beugte sich aus der Tür und feuerte drei schnelle Schüsse ab. Der Krach hallte von den Wänden wider, die Schaufensterscheibe erbebte. Lässig steckte Cole den Revolver in die Halfter zurück.
»Das müsste genügen.« Dann hob er den Mehlsack auf und schlenderte hinaus. Natürlich wirkte sein Gleichmut etwas sonderbar, aber Harrison fand die mangelnde Neugier der Kundschaft im Laden noch erstaunlicher. Wenn sie es seltsam fanden, dass Cole Clayborne durch die Tür schoß, so zeigten sie es nicht. War man an solche Zwischenfälle gewöhnt? Vermutlich.
»Cole, du hast vergessen, dich bei Harrison zu bedanken!«, mahnte Mary Rose.
»Danke für die Warnung!«, rief Cole pflichtbewusst über die Schulter.
Obwohl sie diese Dankesworte zu dürftig fand, protestierte sie nicht. Es fiel ihm immer schwer, sich zu bedanken, und er ärgerte sich vermutlich, weil ihm ein Fremder das Leben gerettet hatte.
»War mir ein Vergnügen!«, erwiderte Harrison.
»Wer hat dir denn im Hinterhalt aufgelauert, Cole?«, fragte sie. Ihr Bruder warf den Mehlsack in den Wagen zu den anderen Vorräten, die er bereits gekauft hatte. »Wahrscheinlich Webster, der Huren …« Hastig unterbrach er sich, bevor er genauer erläuterte, was er von seinem Feind hielt. »Er war sauer, weil ich letzte Woche nicht mit ihm kämpfen wollte. Am besten hätte ich ihn umgebracht. Er wird’s immer wieder versuchen. Können wir losfahren, Mary Rose?«
»Gleich!« Sie wandte sich wieder zu Harrison. »Es war sehr freundlich von Ihnen, meinen Bruder zu warnen, und er ist Ihnen wirklich dankbar, obwohl er’s nicht so zeigen kann. Er mag’s nicht, wenn er jemandem irgendwas schuldet.«
»Oh, er schuldet mir gar nichts. Jeder andere an meiner Stelle hätte genauso gehandelt.«
»Wenn es doch so wäre! Vielleicht helfen sich die Nachbarn in Schottland – hier in Blue Belle nicht.«
Krampfhaft überlegte er, was er sagen könnte, um sie noch ein paar Minuten festzuhalten. Wie ein Einfaltspinsel stand er da – er, ein Anwalt, der es gewohnt war, zu argumentieren und wie ein Buch zu reden. Und jetzt fehlten ihm die Worte. Was für schöne Augen sie hatte …
Sobald ihm dieser Gedanke durch den Sinn ging, erkannte er, in welchen Schwierigkeiten er jetzt steckte. Diese junge Dame, die ihn so zauberhaft anlächelte, übte eine vernichtende Wirkung auf sein Gehirn aus. Das ärgerte ihn maßlos. Eigentlich müsste er es besser wissen. Wollte er sich etwa von einem hübschen Gesicht durcheinanderbringen und seine Pläne durchkreuzen lassen?
»Warum wollen Sie schießen lernen?«, fragte sie unvermittelt.
Verdammt, nun musste er sie belügen. Wenn er zugab, wie gut er mit einer Waffe umgehen konnte, würde sie davonlaufen, ohne ihn eines letzten Blickes zu würdigen. Seit den Schießübungen auf der Universität und seinem Dienst beim Militär war er ein ausgezeichneter Schütze. »Nun ja – ich möchte Rancher werden«, erwiderte er zögernd. »Und ich glaube, da kann man ein Schießeisen gebrauchen.«
»Wir haben eine Ranch, nur wenige Meilen entfernt. Sie heißt Rosehill. Haben Sie schon mal davon gehört?« Sofort bereute Mary Rose diese lächerliche Frage. Natürlich wusste er nichts von Rosehill, wo er doch eben erst in die Stadt gekommen war. Aber ihr fiel nichts Besseres ein, um das Gespräch zu verlängern. Sie hörte ihn gern reden. Sein ungewöhnlicher Akzent klang so musikalisch, seine Stimme tief und angenehm.
»Nein, ich habe noch nichts von Ihrer Ranch gehört.«
Ein paar Sekunden lang
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