Rosehill 01 - Die Tochter des Lords
ihr der Anblick des Pferdes die Sprache verschlagen. Doch sie erholte sich sehr schnell von ihrem Schrecken und fragte sich, warum es so grausam behandelt worden war. Runzlige weiße Narben übersäten das Fell. »Wie lange haben Sie den Hengst schon, Harrison?«
»Fast drei Wochen.«
»Gott sei Dank!«, flüsterte sie und wollte eine weitere Frage stellen, doch da sah sie Douglas auf sich zukommen. Hastig trat sie zwischen die beiden Männer. »Er hat das Pferd erst seit drei Wochen!«, erklärte sie ihrem sichtlich erbosten Bruder.
Ihr Benehmen verwirrte Harrison. »Warum schreien Sie denn so?«
»Damit er mich hört. Er soll Sie doch nicht umbringen.«
Wenn ihn diese Erklärung verblüffte, so zeigte er es nicht.
Und als er das hochrote Gesicht des jungen Mannes sah, erkannte er, worum es ging. Wütend starrte Douglas den übel zugerichteten Hengst an.
»Mein Bruder versteht sehr viel von Tieren«, fügte Mary Rose hinzu. »Von weither kommen die Rancher nach Rosehill und bitten ihn um Rat. Pferde mag er besonders gern, und sobald er diese Narben bemerkte … Irgend jemand hat das arme Geschöpf ausgepeitscht, nicht wahr? Erst dachte ich, es hätte ein weißes Fell, dann kam ich näher und stellte fest, dass es goldbraun ist. Wer hat ihm das angetan?«
»Das weiß ich nicht«, erwiderte Harrison. »Ich fragte danach, aber niemand konnte mir Auskunft geben. Jetzt fallen mir die Narben gar nicht mehr auf. Ich sehe nur noch MacHugh.«
»MacHugh? Was für ein sonderbarer Name …« Bestürzt unterbrach sie sich und fürchtete, sie hätte ihn beleidigt. »Ich meine, ein schöner Name. Sonderbar und schön«, bekräftigte sie.
Wie sie sich bemühte, seine Gefühle nicht zu verletzten! Er lächelte sie gerührt an. Ein süßes Mädchen, dachte er, und offenbar völlig unverdorben – eine erfrischende Abwechslung nach all den Frauen, die ich früher kannte … Ob sie weiß, wie unglaublich schön und liebenswert sie ist?
Dann verdrängte er diese Gedanken und antwortete: »Ich nannte ihn nach einem bärbeißigen Ahnherrn, weil ich da eine gewisse Ähnlichkeit entdeckte.«
»Tatsächlich?«
»Das ist ein verdammt hässliches Pferd«, mischte sich Cole ein, der nun hinter ihnen stand.
»Wenn Sie über die Narben hinwegsehen, werden Sie Mac-Hughs Schönheit bemerken«, entgegnete Harrison, ohne sich umzudrehen.
»Sie finden ihn schön?«, wisperte Mary Rose.
Fast unhörbar seufzte sie, und ihr Herz erwärmte sich. Harrison war ein guter, anständiger Mensch. Nur selten schaute jemand hinter die Fassade. Bisher hatte sie nur vier Leute kennen gelernt, die das taten – ihre Brüder. Hoffentlich täuschte sie sich nicht in diesem Schotten. Heutzutage traf man so wenige nette Männer.
MacHugh begann sich vor seinem Publikum zu produzieren. Wiehernd bäumte er sich auf. An diese theatralischen Possen war der Eigentümer bereits gewöhnt. Er wusste, dass sein Pferd versuchte, die Beobachter einzuschüchtern – offenbar mit Erfolg, denn als es zum Zaun stürmte, schnappte Mary Rose entsetzt nach Luft und ging hinter Douglas in Deckung. Und Harrison wünschte, sie hätte bei ihm Schutz gesucht.
»Lässt er Sie aufsteigen, Harrison?«, fragte sie.
»Ich hätte ihn so oder so gekauft, selbst wenn ich ihn nicht reiten könnte.«
»Wie albern!«, meinte Cole, aber Harrison war nicht gekränkt.
»Vielleicht.«
»Wegen der Ähnlichkeit mit Ihrem Ahnherrn?«, erkundigte sich Mary Rose, und er nickte. »Worin besteht sie denn?«
»Der Hengst ist genauso störrisch wie er – falls man der Familienchronik glauben darf. In diesen dunklen Augen las ich ein wildes Feuer – und noch etwas anderes. Ich glaube, Geduld mit den Menschen, die ihn nicht verstehen.«
»Geduld«, wisperte sie. Träumerisch blickte sie in die Ferne und überlegte, ob sie sich in Harrison verlieben würde. Warum nicht – solange niemand was merkte?
»Und da dachte ich, von diesem Tier könnte ich einiges lernen. Ich bin nämlich sehr ungeduldig.«
Sicher würde er einen wunderbaren Ehemann abgeben, überlegte sie, denn er will sich in Geduld üben …
Douglas trat näher zum Zaun. »Wenigstens hat er kräftige Beine. Und er sieht gesund aus. Haben Sie ihn untersucht, Mister, und auch in sein Maul geschaut?«
»Keine Krankheiten?«
»Soviel ich weiß, keine.«
»Wo haben Sie ihn gekauft?«
»Außerhalb von Hammond, bei Finley.«
»Sie sind zu Finley gegangen?«, rief Mary Rose erschrocken. »Großer Gott, der kauft doch nur Pferde, um
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