Rosehill 01 - Die Tochter des Lords
mag Frauen viel lieber als Männer.« Harrisons beiläufiger Kommentar beschwichtigte weder Cole noch Douglas. Aber obwohl sie energisch die Köpfe schüttelten, eilte ihre Schwester in den Corral.
»Nie hört sie auf uns«, murmelte Cole, und Douglas fühlte sich bemüßigt, sie zu verteidigen.
»Sie hat eben ihren eigenen Willen«, erklärte er Harrison.
»Das sehe ich.«.
Direkt neben dem Gatter blieb Mary Rose stehen und verbarg ihre Angst. Am liebsten hätte sie die Augen geschlossen, doch das wagte sie nicht. Sonst würden ihre Brüder sie auslachen, und das wäre zu peinlich, noch dazu in Harrisons Gegenwart. Der Hengst ignorierte sie. Nachdem sie ein paar Minuten gewartet hatte, ging sie zu ihm, und er trottete ihr entgegen. Zärtlich streichelte sie ihn, und ihr Duft schien ihm ebenso zu gefallen wie die sanften Liebkosungen. »Auf Rosehill wirst du dich wohl fühlen«, wisperte sie. »Und vielleicht möchtest du lange, lange bei uns bleiben, mit deinem Freund Harrison.«
Doch sie wusste, dass sie in irrealen Tagträumen versank. Erst seit einer halben Stunde kannte sie den Mann, und er wusste noch gar nicht, ob er sich hier niederlassen wollte. Wahrscheinlich würde er das Leben in der Wildnis zu beschwerlich finden und noch vor dem Winter die Flucht ergreifen.
Verstohlen spähte sie am Pferdehals vorbei zu Harrison hinüber, und ihr Atem stockte. Irgendwas stimmte nicht mit ihr. Sicher, er sah attraktiv aus, aber daran lag es nicht, dass ihr Herz so heftig pochte. Das musste mit seiner Güte zusammenhängen, für die MacHugh der lebende Beweis war.
Konnte man sich so schnell verlieben? Das pflegten die Mädchen in der Schule zu behaupten, aber Mary Rose hatte es nie geglaubt. Jetzt geriet ihre Überzeugung ins Wanken. Ihre Brüder erklärten immer wieder, eines Tages würde sie heiraten. Wohl oder übel gab sie ihnen Recht. Aber bis jetzt hatte ihr die Aussicht, jeden Tag bis ans Ende ihres Lebens mit ein und demselben Mann zu verbringen, den Magen umgedreht.
Plötzlich sah sie das ganz anders. Lauter Schmetterlinge schienen in ihrer Brust zu flattern. Vermutlich war das eine Begleiterscheinung der Liebe. Was würde sie erst empfinden, wenn Harrison sie küsste – falls das jemals geschehen sollte? Sie war nur selten geküsst worden und hatte jedes Mal den Eindruck gewonnen, ein Fischmaul würde ihr den Mund verschließen. Nun beschloss sie herauszufinden, ob Harrison besser küssen konnte. Solche Gedanken waren natürlich schamlos, aber das machte ihr nichts aus.
Nachdem sie MacHugh ein letztes Mal gestreichelt hatte, verließ sie den Corral, und der Hengst folgte ihr fügsam.
Ihren Brüdern war nicht entgangen, dass sie Harrison angestarrt hatte. Jetzt fing sie auch noch zu singen an.
»Was zum Teufel ist nur los mit ihr?«, fragte Cole.
»Sie träumt«, erwiderte Douglas.
Auch Harrison hatte Mary Roses eindringlichen Blick bemerkt, aber er schwieg. Woran dachte sie? Wenn er das nur wüsste … In seinem Beruf kam es auf die Fähigkeit an, die Gedanken anderer Leute zu erraten, ihren Charakter zu beurteilen und ihre Reaktionen vorauszusehen. Normalerweise beherrschte er diese Kunst. Und ausgerechnet jetzt ließ sie ihn im Stich.
»Geben Sie’s auf, MacDonald«, seufzte Cole und ging zum Stall. Inzwischen hätte er lange genug gewartet, bis der alte Simpson seinen dicken Hintern in Bewegung setzte und die Pferde sattelte. Darum wollte er sich jetzt selber kümmern.
»Was soll ich aufgeben?«, fragte Harrison und folgte ihm.
Douglas eilte zum Wagen und rief über die Schulter: »Am besten versuchen Sie gar nicht erst, Mary Rose zu verstehen! Das schaffen Sie nie!«
An der Stalltür drehte Cole sich um. »Vielleicht sollten Sie sich bemühen, Ihr Pferd einzufangen. Allem Anschein nach will es meiner Schwester nachlaufen.«
Fluchend rannte Harrison zu MacHugh. Was zum Teufel war nur los mit ihm? Er hatte nicht einmal gemerkt, dass der Hengst aus dem Corral getrabt war.
Cole schaute ihm grinsend nach und fand es keineswegs erstaunlich, dass MacHugh so schnell von seinem Herrn zu Mary Rose übergelaufen war. Wie alles, was in dieser Gegend kreuchte und fleuchte, erkannte auch der Hengst ein gütiges Herz.
Ob Mensch oder Tier – das spielte keine Rolle. Einmütig folgten sie Mary Rose nach Hause.
Sie lebte inmitten eines Paradieses. Als Harrison den Grat am Rand des Clayborne-Anwesens erreichte, zügelte er sein Pferd und blickte fasziniert in das schöne Tal hinab. Mary Roses Stute
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