Rosehill 01 - Die Tochter des Lords
Sie so etwas behaupten, beleidigen Sie die Ehre meines Vaters und meine.«
Der Zorn seines Gastes beeindruckte Cole nicht, der nur die Achseln zuckte. Dann wandte er sich zu Adam. »Der Mann muss abgehärtet werden. Bist du bereit, ihn aufzunehmen?«
»Vielleicht.«
»Kräftig genug ist er ja«, bemerkte Douglas, »aber er braucht auch ein bisschen Mumm in den Knochen. Und Durchhaltevermögen.«
»Das hat er«, erwiderte Cole. »Sonst wäre er nicht bei seinem kranken Vater geblieben. Was meinst du, Travis?«
»Mir ist’s recht. Aber er interessiert sich etwas zu sehr für unsere Schwester, und das könnte Probleme aufwerfen.«
»Jeder interessiert sich für Mary Rose. Wenn sie Harrison gleichgültig wäre, würde ich ihm sogar misstrauen. Ich finde, wir sollten’s mit ihm versuchen.«
Die Brüder nickten zustimmend, und Mary Rose klatschte glückstrahlend in die Hände.
Fassungslos schaute Harrison von einem zum anderen. Sie redeten über ihn, als wäre er gar nicht vorhanden, und diese eklatante Unhöflichkeit wirkte schon beinahe komisch.
Dann stand Mary Rose auf, und Harrison erhob sich sofort. Die anderen rührten sich nicht. »Soeben wurden Sie eingeladen, bei uns zu bleiben«, erklärte sie. »Alle sind einer Meinung, und das ist erstaunlich, weil Cole normalerweise gegen alles protestiert. Er mag Sie. Ist das nicht nett?«
Weil er nicht widerstehen konnte, gab er eine ehrliche Antwort. »Nicht besonders.«
Alle lachten, auch Mary Rose. »Was für einen köstlichen Humor Sie haben, Harrison.«
Obwohl er nicht gescherzt hatte, ließ er es dabei bewenden.
»Jetzt zeige ich Ihnen, wo Sie schlafen.« Mary Rose ging zur Tür. »Du entschuldigst uns doch, Adam?«
»Ja, natürlich. Gute Nacht, Harrison.«
Lächelnd dankte Harrison den Brüdern für die Gastfreundschaft und folgte ihrer Schwester. Sie begleiteten ihn nicht, und das verblüffte ihn, nachdem Travis auf das Besorgnis erregende Interesse des Besuchers an Mary Rose hingewiesen hatte.
Zahllose funkelnde Sterne beleuchteten den Weg zur Schlafbaracke.
»Sie mögen meine Brüder, nicht wahr?«, wollte Mary Rose wissen.
»Manchmal. Eine seltsame Familie …«
»Nicht seltsam, nur anders.«
»Darf ich was fragen?«
»Ja?«
»Warum haben Sie mich nicht gewarnt?«
»Adams wegen?«
»Genau.«
»Warum sollte ich Sie warnen. Entweder würden Sie ihn akzeptieren – oder auch nicht. Die Entscheidung lag bei Ihnen.«
»Die Claybornes sind nicht blutsverwandt, was?«
»Da haben Sie Recht. Trotzdem sind wir eine Familie. Nicht nur das Blut hält Menschen zusammen, die sich lieben.«
»Natürlich nicht. Sie alle sind schon vor langer Zeit eine Familie geworden, nicht wahr?«
»Ja. Wie haben Sie das erraten?«
»Nun, Sie alle benehmen sich wie richtige Geschwister. Zum Beispiel streiten Sie über unwichtige Dinge.«
»Das stimmt. Hier draußen ist es sehr schön, nicht wahr?«
Offensichtlich wollte sie das Thema wechseln, und er entschied, dass er ihr für einen Abend genug Fragen gestellt hatte. Am nächsten Tag würde er weitere Informationen sammeln.
»Ja, wunderschön. Die frische Luft hilft einem, klar zu denken.«
»Wenn das alles ist, was Ihnen auffällt, haben Sie zu lange in der Großstadt gelebt.«
»Allerdings. In London kann man die Sterne nicht immer sehen, weil die Atmosphäre schmutzig und verraucht ist.«
»Wie in New York City.«
Sein Atem stockte, und er bemühte sich, möglichst beiläufig zu sprechen. »Sie waren in New York City?«
»Als Baby, und deshalb erinnere ich mich an nichts. Aber meine Brüder haben mir von Fabriken und Qualmwolken und Menschenmassen erzählt.«
Nun musste Harrison nur noch herausfinden, wer sie ihren Eltern entführt und den Jungen geholfen hatte, nach Montana zu gelangen. »Eine sehr interessante Stadt …«
»Trotzdem bleibe ich lieber hier. Meine Brüder schickten mich nach St. Louis auf ein Internat, und da hatte ich schreckliches Heimweh.«
»England und Schottland würden Ihnen sicher gefallen.«
»Auch dort würde ich mein Tal vermissen. Hier gibt’s so viel zu sehen und zu tun. Ständig erfahre ich neue Dinge, die mich bewegen. Erst neulich hörte ich von einer Frau, die ganz allein am Boar Ridge lebt. Ihr Mann und ihre Söhne wurden vor vielen Jahren von den Indianern getötet. Die Leute in Blue Belle halten sie für verrückt. Erst jetzt hat Travis mir von ihr erzählt, und ich möchte sie besuchen, sobald Adam mir’s erlaubt.«
»Wenn sie verrückt ist, könnte sie
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