Rosen des Lebens
bemüht, »ich hätte diese Familiengespräch nicht gestört ohne einen sehr ernsten Grund.
Es handelt sich um den Dienst bei der Königin.«
»Welcher Königin?« fragte Madame de Guise barsch. »Es gibt zwei.«
»Madame«, sagte Réchignevoisin, »es handelt sich um die regierende Königin. Madame de Guercheville kam soeben. Sie wartet
nebenan.«
»Und was hat Madame de Guercheville mit der regierenden Königin zu tun? Sie steht im Dienst der Königinmutter.«
»Ich weiß es nicht, Madame«, sagte Monsieur de Réchignevoisin mit erneuter Verneigung. »Jedenfalls ist sie ganz außer sich
und verlangt, Euch augenblicklich zu sprechen.«
»Augenblicklich!« sagte Madame de Guise entrüstet, »wenn ich meine Kinder empfange! Sie ist eine gute Freundin, gewiß, aber
was fällt ihr ein, mich ›augenblicklich‹ sprechen zu wollen!«
»Madame«, meinte Réchignevoisin, »soweit ich Madame de Guercheville verstanden habe, bringt sie einen dringenden Befehl der
Königin für Eure Frau Tochter.«
»Was soll denn das heißen?« sagte Madame de Guise. »Die Guercheville, die im Dienst der Königinmutter steht, bringt einen
Befehl der regierenden Königin an die Prinzessin Conti und kommt damit zu mir!«
»Madame«, wandte Louise-Marguerite leise und besänftigend ein, »vielleicht wurde Madame de Guercheville von der regierenden
Königin als Botin erwählt, eben weil man weiß, daß sie Eure gute Freundin ist. Und sicher wußte man auch, daß sie mich bei
Euch finden würde. Frau Mutter, erlaubt Ihr, daß ich nach nebenan gehe und Madame de Guercheville frage, um was es geht?«
»Kommt nicht in Frage!« sagte die Herzogin, bei der jetzt die Neugier über jedes Gefühl von Würde oder Vorrang siegte. »Ihr
bleibt hier bei mir, Tochter, und bei Euren Brüdern. Wenn Madame de Guercheville Euch bei mir einen Befehl der Königin |290| überbringt, ist es wohl das mindeste, daß ich und Eure Brüder erfahren, um was es sich handelt. Auf, Réchignevoisin, führt
Madame de Guercheville herein! Na, schnell, schnell! Worauf wartet Ihr?«
Madame de Guercheville mußte wirlich völlig außer sich sein, Tränen stürzten über ihre Wangen, sie hatten ihre ganze Schminke
verschmiert. Bei ihrem Anblick schwand der Zorn meiner Patin, und ihre natürliche Güte gewann die Oberhand. Ohne an ihren
Rang zu denken, eilte sie von ihrem königlichen Sitz, die Frau zu umarmen, die sie noch vor zwei Minuten »die Guercheville«
genannt hatte. Auch Louise-Marguerite trat erschrockenen Gesichts zu ihr, denn dieser große Kummer schien eine Unglücksnachricht
von der jungen Königin anzukündigen. Und weil die Besucherin ihr Schuchzen nicht verwinden und kein einziges Wort sprechen
konnte, legte ihr Louise-Marguerite den Arm um die Schultern.
»Bitte, Madame, redet doch, redet!« sagte sie. »Ich sterbe vor Unruhe, Euch in diesem Zustand zu sehen.«
»Ach, mein Gott, mein Gott! Was für ein Unglück!« stieß Madame de Guercheville hervor. »Die Königin, Madame, die Königin!«
»Jaja«, sagte Louise herrisch, »aber was ist mit ihr?«
Dieser Ton schien Madame de Guercheville ein wenig Festigkeit zu geben, und obwohl ihre Tränen weiter strömten, sagte sie:
»Madame, ich habe Befehl, Euch zur Stunde in den Louvre zu holen. Die Königin ist verzweifelt. Sie ringt die Hände, sie weint
und schreit, daß der König sie nie mehr lieben werde.«
»Aber, was hat sie denn?« rief Louise-Marguerite voll Schrecken. »Was ist passiert?«
»Ach, Madame! Das Schlimmste für eine Frau und erst recht für eine Königin: Sie hat ihre Frucht verloren!«
[ Menü ]
|291| ZWÖLFTES KAPITEL
Der Unfall der armen Königin betrübte den ganzen Hof, nur nicht die Königinmutter. Scheinheilig preßte sie sich vor aller
Augen eine Träne ab. Sie mochte ihrer Schwiegertochter öffentlich noch soviel zulächeln, ihre Zähne sahen dabei doch immer
aus, als wollten sie beißen. Nichts konnte ihr gelegener sein als ein Reich ohne Dauphin. Je länger diese Situation anhielt,
desto mehr Blut und Leben gewann ihr heimliches Ziel, diesen ungeliebten Sohn auf Frankreichs Thron durch ihren jüngeren Sohn,
Gaston von Orléans, zu ersetzen, dessen weichliches und leicht zu beeinflussendes Wesen der Mutter zu einer neuen Regentschaft
verholfen und ihr jene Macht wiedergegeben hätte, die sie so sehr liebte und die sie so schlecht ausgeübt hatte.
Ludwigs Gleichmut zu durchdringen war schwer, ihm Fragen zu stellen ganz
Weitere Kostenlose Bücher