Rosen des Lebens
umarmte und küßte mich brüderlich
auf die Wangen, was ich freimütig erwiderte.
Ich liebte ihn, seit ich ihn mit fünfzehn Jahren auf dem Ball der Herzogin von Guise kennengelernt hatte. Gewiß war er ein
Tor wie seine Brüder, aber ein liebenswürdiger. Für seine endlosen Weibergeschichten – derzeit schlief er mit der Gemahlin
des Favoriten – gab es allerdings eine Entschuldigung: Von jeher kamen ihm die Damen unweigerlich die Hälfte des Weges entgegen,
denn er war ein sehr schöner Mann, ein verwegener Reiter, ein glanzvoller Degen und im Krieg die Tapferkeit selbst.
Kaum hatten Claude und ich unsere brüderlichen Grüße getauscht, erschien die Prinzessin Conti. Schöne Leserin, wie Sie bereits
wissen, trat meine brillante Halbschwester nicht ein: |283| Sie hatte ihren Auftritt. Als Bourbonin von ihrer Mutter her und auch durch ihren verstorbenen Gemahl, glaubte sie, es gäbe
im Reich nichts Höheres als sie, abgesehen von den beiden Königinnen und Madame, und auch nichts Schöneres, bis auf Madame
de Luynes und Madame de Guéméné, die ihr auf diesem Feld die Palme streitig machten.
Mit elegantem Wiegen schritt die Prinzessin Conti gerade auf ihre Mutter zu und fiel vor ihr nieder, und ihr geblümter Reifrock
bildete einen Blütenkranz um ihre Wespentaille. Oder sollte ich sie besser mit einer Sanduhr vergleichen? Denn war das Oberteil
auch weniger umfänglich als das untere, war es doch ebenso gerundet. Dann erhob sie und beugte sich mit bewundernswerter Schmiegsamkeit,
um der Herzogin zwei Küsse zu geben, wobei sie ihr Gesicht kaum streifte, denn die Prinzessin wollte weder ihr Lippenrot noch
den Puder der mütterlichen Wangen verderben.
Hierauf machte sie dem regierenden Herzog in ihrem Mutwillen eine so unverschämte Halbreverenz, daß ich mich auf eine Fortsetzung
des Krieges gefaßt machte, der von Kindheit an zwischen den beiden herrschte und wohl nie aufhören würde. Dann schenkte sie
Claude und mir ein spielerisches, neckendes und sehr weibliches Lächeln, das durchaus nicht das einer Schwester war. Nachdem
sie derweise die Bewunderung, die wir ihr entgegenbrachten, neu entfacht hatte, nahm sie zwischen uns Platz, wie um sich gegen
Charles zu verschanzen. Sie wußte, daß sie, sogar wenn sie unrecht hatte, auf unser unverbrüchliches Bündnis bauen konnte.
»Töchterchen«, sagte die Herzogin von Guise, »wie befindet Ihr Euch? Ihr kommt mir ein bißchen abgespannt vor?«
»Bestimmt hat ein Liebhaber ihr zugesetzt«, sagte Charles grätzig.
»Mein Herr Bruder«, sagte die Prinzessin Conti, das Kinn erhoben und die Brauen gewölbt, »meine Liebhaber setzen nicht mir
zu: Ich setze ihnen zu.«
»Und warum ›meine Liebhaber‹?« fragte Charles. »Einer reicht Euch wohl nicht?«
»Herr Bruder«, sagte sie mit einem Lächeln, gefährlicher als ein Tatzenhieb, »ist es an Euch, mir diesen Rat zu geben? Wenn
Ihr nur einmal im Jahr Karten spieltet, würdet Ihr nicht das Vermögen Eurer Gemahlin vergeuden.«
|284| »Was soll man denn sonst damit anfangen?« sagte Charles verächtlich.
»Das ist wahr«, räumte die Prinzessin ein. »Die Güter Eurer Frau sind nicht mehr zu zählen.«
Dieses Zugeständnis war eine Falle, in die Charles prompt hineintappte.
»Ja, die Herzogin von Guise ist nicht übel versehen«, sagte er mit törichter Befriedigung.
»Und deshalb habt Ihr sie geheiratet«, versetzte die Prinzessin. »Eine Witwe! Ist es nicht wunderbar, wie das Geld über alles
geht, sogar über eine verlorene Jungfernschaft.«
»Louise-Marguerite!« sagte die Herzogin energisch. »Hört sofort mit diesem Gezänk auf, oder ich verlasse den Raum.«
»Ihr habt recht, Frau Mutter«, sagte die Prinzessin. »Von nun an spreche ich nur noch zu Euch. Und um Eure Frage zu beantworten:
Ich bin tatsächlich sehr müde, weil ich die Nacht am Bett der jungen Königin verbracht habe, gemeinsam mit Madame de Luynes
und Madame de Motteville. Die arme Anna war in Ängsten.«
»Ist sie denn ihrer Niederkunft schon so nahe?« fragte Madame de Guise.
»Aber nein, woher nehmt Ihr das, Mutter? Sie ist erst am Anfang.«
»Bei allen Heiligen!« rief Charles entrüstet, »sind wir hier, um über die Königin zu sprechen oder über den Kardinal von Guise?«
»Ich rede von wem ich will«, sagte die Prinzessin, ohne ihm auch nur einen Blick zu gönnen.
Hierauf folgte eine Art stillschweigender Waffenstillstand zwischen den Streithähnen. Ich habe wohl nahezu zwanzig
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