Rosen des Lebens
ausgeschlossen, dennoch hege ich keinen Zweifel,
daß ihn die Fehlgeburt der Königin erschüttert hatte. Es verging kein Tag, an dem er sie nicht besuchte, manchmal sogar zwei-
oder dreimal, während er die Königinmutter nur einmal besuchte und nur kurz. Auch wenn diese täglichen Aufmerksamkeiten ziemlich
linkisch sein mochten, denn Ludwig war kein großer Redner, schon gar nicht vor Frauen, taten sie der armen Anna wohl. Unglücklicherweise
erbitterte sich das Schicksal um diese Zeit erneut gegen ihr armes Herz und bereitete ihr weiteren Kummer.
Ich habe gute Gründe, mich des Tages zu erinnern, als es auf sie niederschlug. Am dreizehnten April 1621 stellte ich mich
zu meiner gewohnten Stunde, das heißt um acht Uhr morgens, in den Gemächern des Königs ein. An der Schwelle fand ich den jungen
Soupite mit dem Finger auf dem Mund, Seine Majestät schlafe noch, flüsterte er mir zu und zog mich am Arm in das angrenzende
Kabinett.
»Herr Graf«, sagte er leise, »der König hatte diese Nacht einen schrecklich unruhigen, gequälten Schlaf. Mitten in der |292| Nacht hörte ich ihn stöhnen und schreien, ich schlug Feuer, entzündete meine Kerze und ging zu ihm. Ludwig hatte die Augen
geschlossen, wie ich im Kerzenschein genau sah. Also schlief er, dachte ich und wollte wieder ins Bett gehen, als er plötzlich,
ohne die Augen aufzutun, mit einem Wimmern ausrief: ›Mein Gott, mein Gott! Ich hatte alle meine Vögel hinter mein Kopfende
gestellt, und sie sind alle weggeflogen!‹ Und weil er im Schlaf so unglücklich aussah und ein so verzerrtes Gesicht hatte,
sagte ich zu ihm: ›Sire, schlaft nur! Sie sind alle wieder da.‹ Der König muß mich im Schlaf gehört haben, denn sein Gesicht
löste sich, er drehte sich zur Seite und schlief fest ein.«
Bleich, mit großen Augen vor Angst, blickte Soupite mich an.
»Herr Graf«, fragte er bebend, »glaubt Ihr nicht, daß aus dem Mund meines armen Königs der Teufel gesprochen hat?«
»Unsinn, Soupite!« sagte ich mit fester Stimme, und um ihn zu beruhigen, legte ich ihm den Arm um die Schultern und drückte
ihn an mich. »Welcher Teufel, Soupite, dürfte sich getrauen, in den Leib des allerchristlichsten Königs zu fahren?«
»Aber«, sagte Soupite halb getröstet, »wenn der Traum kein Teufelswerk war, kündigt er nicht vielleicht ein großes Unheil
an?«
»Aber nein, Soupite, nein, weder Mensch noch Teufel können die Zukunft vorhersagen. Die weiß nur der Herrgott allein, weil
er sie macht. Für mein Gefühl hat dieser Traum nichts mit der Zukunft zu tun, sondern ist ein kummervolles Gedenken des Geschehenen.
Die Vögel, die Seine Majestät hinter sein Kopfende gestellt hatte, das heißt ganz nahe bei sich, bedeuten seine teuerste Hoffnung,
nämlich auf einen Thronfolger. Und diese teure Hoffnung ist ihm entflogen.«
»Das ist wahr!« sagte Soupite, und sein junges Gesicht hellte sich auf. »Wie froh bin ich, daß ich Euch das erzählt habe,
denn jetzt ist mir alles klar.«
»Es ist aber nicht nötig«, sagte ich, »daß du anderen davon erzählst. Weiß Gott, welche dummen Auslegungen dieser Traum erfahren
könnte, und wenn Ludwig es erführe – denk an seinen Zorn!«
»Ich werde schweigen, Herr Graf«, sagte Soupite mit feierlicher Miene. »Ihr werdet im großen Ozean keine Auster finden, |293| die ihre Perle besser verschließt als ich dieses Geheimnis.«
Sein schöner poetischer Erguß wurde durch die Stimme des Königs unterbrochen.
»Soupite! Soupite!« rief er aus seinem Zimmer, »wo hast du, Schafskopf, meine Schale Brühe gelassen?«
Mit dem ersten Frühstück war Ludwig höchst launisch, mal nahm er es, mal nahm er es nicht, je nach seiner Stimmung. Dafür
versäumte er nie, die Messe zu hören, sei es in der Bourbonenkapelle, sei es in den Kapellen im großen Saal oder im Vorzimmer
der Königin. Es wird den Leser kaum wundern, daß es uns im Louvre an Stätten der Religionsausübung nicht mangelte.
Als Erster Kammerherr und Ritter vom Heiligen-Geist-Orden hatte ich genug Gründe, dem König zur Messe zu folgen, und ich versäumte
es auch nie, obwohl es mich einiges kostete. Diese Wiederholung tagein tagaus hatte von der Bewegung, die ich hätte verspüren
müssen, wenig übriggelassen. Und vor allem mochte ich die Predigten des Paters Arnoux nicht sehr, weil er trotz aller gewahrten
Formen immer versuchte, den Geist des Königs auf jene politischen Wege zu lenken, wo die Gesellschaft Jesu ihn
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