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Rosen des Lebens

Rosen des Lebens

Titel: Rosen des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R Merle
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Welt.«
    »Schöner als der Pont Neuf unseres Henri in Paris?«
    »Für mein Gefühl ist unser Pont Neuf vor allem schön, wenn man ihn von den Seine-Ufern her sieht. Die Karlsbrücke dagegen
     ist mit Heiligenstatuen geschmückt, so daß sie immer bevölkert wirkt. Und eben darin liegt ihr Einmaliges: Die Vergangenheit
     steht und schaut, wie die Gegenwart vorüberzieht.«
    »Nun, schön und gut, Monsieur. Aber was hat Prag mit Frau von Lichtenberg, der Pfalzgräfin, zu tun?«
    »Madame, was am dreiundzwanzigsten Mai dieses Jahres 1618 zu Prag geschah, betraf aufs engste Frau von Lichtenberg, die Pfalz,
     den Kaiser und die evangelischen deutschen Fürstentümer, Österreich, Frankreich, kurzum, ganz Europa … Doch bevor ich Ihnen
     sage, was an diesem dreiundzwanzigsten Mai geschah, erlauben Sie, Madame, daß ich zweihundert Jahre zurückgehe.«
    »Zweihundert Jahre?«
    »Zwei Jahrhunderte in zwei Minuten, ist das zuviel verlangt? Im Jahr 1411, Madame, lange vor Luther und Calvin, klagte Jan
     Hus, Priester und Rektor der Prager Universität, gegen die, wie Étienne de La Boétie später sagte, ›endlosen Mißbräuche der
     katholischen Kirche‹. Jan Hus wurde exkommuniziert und sollte vor dem ökumenischen Konzil zu Konstanz erscheinen, das der
     deutsche Kaiser Sigismund einberufen hatte. Als Jan Hus zögerte, sich dorthin zu begeben, fertigte besagter Sigismund ihm
     einen Geleitbrief aus, der seine Sicherheit in Konstanz garantierte. Als Jan Hus nun in Konstanz war, änderte Sigismund unter
     dem Druck der Prälaten und Fürsten seine Meinung und widerrief den Geleitbrief, denn die Forderungen von Jan Hus beschränkten
     sich nicht auf eine Reformierung der katholischen Kirche. Dieser Reformator war zugleich ein Patriot, der die deutsche Herrschaft
     über Böhmen ablehnte, und ein Verteidiger des Volkes gegen die Unterdrückung der großen Herren. Sigismund überlieferte ihn
     der |115| Kirche, die ihm den Prozeß machte, er wurde zum Tode verurteilt und bei lebendigem Leib verbrannt.«
    »Das Ökumenenwesen fing ja gut an!«
    »Und das ging munter so weiter. Die Prager Hussiten waren entsetzt über die Verbrennung des Jan Hus und über Sigismunds Verrat,
     zumal in Böhmen sein Bruder Wenzeslaus regierte. Im Jahr 1418 – vor genau zweihundert Jahren, Madame – stürmten die Hussiten
     eines schönen Morgens den Hradschin, ergriffen die Räte von Wenzeslaus und warfen sie aus den Fenstern in den Burggraben.
     Dies war der erste Prager Fenstersturz.«
    »Was heißt der erste, Monsieur? Gab es einen zweiten?«
    »Ja, eben, zweihundert Jahre später! Vor einer knappen Woche, am dreiundzwanzigsten Mai 1618 – und glauben Sie mir, schöne
     Leserin, dieses Datum war kein Zufall, denn für die Böhmen ist es eine Art Gedenktag geworden –, an diesem Tag also drangen
     die Lutheraner, die sich als geistige Nachfahren der Hussiten ansehen, in den Hradschin ein und warfen die Statthalter des
     Kaisers Matthias aus dem Fenster.«
    »Daß sie sich Hals und Knochen brachen?«
    »Nein, Madame. Sie fielen auf einen Misthaufen. Und zwar zur allseitigen Freude: Die Lutheraner jubilierten, genau dieses
     Bett fromme den verwünschten Papisten, die Katholiken priesen die göttliche Vorsehung, weil sie den Misthaufen dort extra
     plaziert habe, damit den Stürzenden kein Leid geschähe.«
    »Und was warfen die Fensterstürzer Kaiser Matthias vor?«
    »Er hatte den Prager Lutheranern einige religiöse Freiheiten zugestanden, aber nachdem seine Macht gefestigt war, nahm er
     sie zurück.«
    »Nicht sehr freundlich!«
    »Aber das war nicht alles. Kaiser Matthias unterstützte die Kandidatur des Erzherzogs Ferdinand von Österreich für seine Nachfolge.
     Ein Habsburger, Madame! Mit einem Beichtvater, der Jesuit war! Ob Kalvinisten oder Lutheraner in Deutschland, man geriet in
     Alarm.«
    »Auch Frau von Lichtenberg?«
    »Und wie! Ihr Cousin, der Kurfürst von der Pfalz und Anführer der evangelischen Union, war ebenfalls Kandidat für den Kaiserthron.
     Frau von Lichtenberg mutmaßte folglich, daß in Deutschland ein Krieg zwischen Protestanten und Katholiken |116| bevorstehe und sah die Niederlage der Ihren voraus. Ebendas sagte sie mir, nachdem unser Verlangen im Himmelbett gestillt
     war, mit stockender Stimme und unter Tränen. Sie müsse, sagte sie, schnellstens nach Heidelberg aufbrechen, um ihre Güter,
     wenn auch mit Verlust, zu verkaufen, weil sie auf alle Fälle verloren seien.«
    »Waren Sie sehr betrübt über

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