Rosen für Apoll
und Thessalien, Bismarcks »Rußland«, zu verlieren. Die größte Mühe hat Peisistratos darauf verwendet, die Tyrannis von dem Verdacht der Willkür freizuhalten. Sorgfältig hat er im Volke das Bewußtsein wachgehalten, daß auch er selbst vor dem Gesetz nicht mehr war als jeder andere Bürger.
Die Generation nach ihm, das heißt nach dem Sturz seines Sohnes, hat, wie das der Lauf der Welt ist, alles getan, um die Überlieferung und die Erinnerung an ihn zu verwischen, und erst hundert Jahre später setzt mit Herodot die Berichterstattung aus dem Gedächtnis ein. Das Gedächtnis der Griechen war phänomenal. Sie müssen wissen, daß es damals Μνήμονες gab, Staatsangestellte, die keine andere Aufgabe hatten, als alle Vorgänge, Bestimmungen, Daten, Gerichtsentscheidungen und Rechtskommentare in Erinnerung zu behalten und jederzeit wörtlich wiedergeben zu können. Ihre Gehirne waren die »Staatsarchive«. Sie haben Herodot auch das unverfälschte Bild des großen Tyrannen bewahrt. Durch sie wissen wir von seinen Reformen, hochmodern anmutenden Taten wie:
Abschaffung der willkürlichen »Gutsherrn-Gerichte« und Einsetzung von »Landrichtern«.
Verbot der unkontrollierten Münzprägung des Adels und Schaffung einer Staatsmünze.
Befreiung der Handwerker und Arbeiter von direkten Steuern.
Staatszuschüsse bei bäuerlicher Notlage.
Landschenkung in den Kolonien an Auswanderer.
Bau des Straßennetzes und des großen Wasserversorgungsnetzes, aus dem Athen noch im 19. Jahrhundert getrunken hat. Gesetz zur Arbeitsbeschaffung.
Strafgesetz gegen den Müßiggang der Jugend.
Verkündung einer allgemeinen Sozialrente — lauter Grundpfeiler der späteren Demokratie!
Peisistratos war auch ein geistreicher, ein fröhlicher, musischer Kopf. Wenigstens davon sind unzerstörte Zeugnisse bis auf unsere Zeit überkommen: die »Hermen«. Die Hermen, eine seiner liebenswertesten Einfälle, waren Hermes-Köpfe auf hohen Steinpfeilern, sie standen an den Kreuzungen der Landstraßen und hatten den gleichen Sinn, den heute unsere blechernen Scheusale von Wegweisern haben. An Straßensternen gab es Pfeiler mit drei und vier Hermes-Köpfen, sie blickten in die Richtungen, für die sie die Namen und Entfernungen angaben. Präzision ist die Leidenschaft der Diktatoren. Vielleicht gab es auch »Volkswagen«, wir wissen es nicht.
Peisistratos besaß jene heitere Frömmigkeit, von der Ernst Jünger gesagt hat: »Fromm sein heißt, vom Wunder der Welt erfaßt werden. Das ist kein Zeichen, keine Folge von Religion, sondern deren Voraussetzung. Dem folgt Verehrung unmittelbar, auch Heiterkeit. Es ist wahrscheinlicher, daß die Heiterkeit den Ursprung der Religionen bildet als die Furcht, wie viele Theorien annehmen. Auch heute ist jede Frömmigkeit verdächtig, die sich auf Furcht gründet und der die Heiterkeit fehlt.«
Unter Peisistratos begann Athen zu strahlen.
Die Akropolis, die so düster und schwer über der Stadt gelegen hatte, hellte sich auf, die Fassaden zur Burg wurden mit weißem Marmor geschmückt; um den alten Athene-Tempel stiegen jetzt ringsum Säulen hoch; den Westen der Akropolis krönte ein riesiger neuer Bau: das Prachttor, die »Propyläen«; und im Osten, zu Füßen des Berges, wuchs das Olym-pieion, der Tempel des Zeus, aus dem Boden — den Zeitgenossen schien er so groß wie eine ganze Stadt.
Athen begann zu leuchten. Ein bis dahin noch nie gespürtes Air lag über der Stadt des Peisistratos. Weithin sah man, daß die Athener »Herren« geworden waren. Der Geistesadel begann, den Geburtsadel in den Schatten zu stellen. Gymnasien schossen aus der Erde, Ilias und Odyssee wurden auf Befehl des Tyrannen Schulbuch, man lernte das Kaloskagathos wie im 19. Jahrhundert das Klavierspielen, Bäcker und Töpfer luden zu Symposien wie einst die Geschlechter, und ihre kleinen Bäckersöhne und Töpferneffen kredenzten Wein und anderes als Pais. Man hielt sich Pferd und Wagen, man reiste zu den Spielen nach Olympia, und eines Tages geschah es, daß der erste Athener aus dem einfachen Volk als Olympiasieger heimkehrte. Von dieser Sensation können wir uns heute nur noch eine Vorstellung machen, wenn wir den Fall setzen, eine Hebamme würde den Nobelpreis für Medizin bekommen.
Ja, die Athener waren fast so etwas wie »Weltbürger« geworden. »Der muß aus Athen sein«, sagte man, wie man heute »die ist sicher aus Paris« sagt.
Eine alte Quelle nennt Peisistratos auch ausdrücklich als Begründer der
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