Rosen für Apoll
Scherbengerichte waren schicksalhafte, dramatische Entweder-oder-Augenblicke des ganzen Volkes, und wer die griechische Geschichte kennt und im Nationalmuseum von Athen zum Beispiel vor jenen ausgegrabenen »Scherben« steht, mit denen die Athener einen ihrer größten Söhne, Themistokles, in einem schrecklichen Irrtum verbannt haben, der wird sich einer starken Bewegung kaum erwehren können.
Der Gedanke, den Kleisthenes hier geboren hatte, war von dämonischer Tiefe. Kein heutiger Staat würde es wagen, ihn aufzunehmen. Ganz abgesehen davon, daß sich das gesamte Ausland für unsere Verscherbelten bedanken würde.
Bewundern Sie die lodernde Flamme Griechenlands!
Die »Isonomie«, so nannte man die neuen Errungenschaften, war geboren. Diese Isonomia, das Prinzip der Bürger-Gleichheit, wird vom 20. Jahrhundert gerne als Demokratia, als echte Volksherrschaft, ausgegeben, weil es so schön wäre, wenn die moderne Demokratie eine lange Ahnenreihe hätte. Unsere Demokratie ist aber, es läßt sich nicht ändern, ein Parvenü und hat mit der Isonomie Athens nur so viel Ähnlichkeit wie ein Telefon mit dem ersten Morseapparat.
Es war die erste Isonomie der Welt. Übrigens ist sie ewig ein Fremdkörper in Griechenland geblieben, es ist zwecklos, das zu beschönigen. Der Grieche war Theatraliker, himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt, frierend und schwitzend; Isonomie aber ist Air-conditioning.
Jedoch — es war neu und infolgedessen spannend, und als Sparta, auf gestachelt von Isagoras und von Delphi, dem Vatikan der alten Griechen, zweimal durch einen Gesandten intervenieren ließ, kochte ganz Athen. Im Frühjahr 506 waren sich Sparta, Chalkis und Theben einig, die Isonomie in Athen zu beseitigen. Drei Heere stießen in Richtung Attika vor. In diesem Augenblick größter Bedrängnis entschloß sich Kleisthenes zu einem — wie könnte es bei ihm anders sein — ungewöhnlichen Schritt: Er stellte Athen unter den Schutz des Perserkönigs! Eilboten gingen an den persischen Satrapen von Kleinasien ab und überbrachten ihm zum Zeichen der Unterwerfung Wasser und Erde Attikas. Jetzt kochte Sparta!
Aber ob es nun die Nachridit von diesem Schritt war oder ob Uneinigkeit der Grund gewesen ist — das spartanische Heer, das schon bis Eleusis vorgedrungen war, machte kehrt. Die Thebaner ahnten von ihrer Isolierung noch nichts und marschierten wacker weiter. Kleisthenes rief die Phylen auf. Sie sollten nun ihre Feuerprobe bestehen.
Sie bestanden sie.
Theben und Chalkis wurden geschlagen.
Sparta, beschämt und betreten, holte vom grünen Tisch noch schnell zu einem Schlage aus. Ich sollte Sie eigentlich schonend darauf vorbereiten, weil Sie es kaum glauben werden: Sparta trat an die Perser mit der Bitte heran, Hippias, der sich in Kleinasien aufhielt, in Athen wieder als Tyrannen einzusetzen!
So ist die Welt, meine Freunde. Honny soit qui mal y pense, wie die Engländer zu sagen pflegen.
Jedoch, was in unserer Zeit ohne weiteres gelungen wäre, gelang damals Sparta nicht, und Kleisthenes konnte sich nach einem erfindungsreichen Leben ohne Sorge zur Ruhe legen. Ein Denkmal freilich setzte man ihm nicht. Das wurde gerade für Harmodios und Aristogeiton aufgestellt. So ist die Welt, ich sagte es schon.
... kommen endlich die Perser. Was wäre die griechische Historie ohne sie! Mit der klassischen Schlacht von Marathon tritt Hellas in die Weltgeschichte und in unsere Schulbücher (Unterstufe, leichtverständlich) ein.
Das war es, was ich zum Verständnis des Auftauchens der Perser nachtragen wollte, und Sie werden es in Ihrer Güte als Erklärung akzeptieren. Denn, so werden Sie kombinieren, die Perser hatten durch den Schutzvertrag mit Kleisthenes ein Recht dazu.
Weit gefehlt!
»Kleisthenes hat die Perser niemals um Schutz gebeten!« Dieser Satz, den die Athener beständig wiederholten, überrascht nicht nur Sie, er überraschte auch die Griechen und ebenso die Perser, die glaubten, nicht recht zu hören. Man war sprachlos; was jedoch Athen nicht hinderte, an seiner Gedächtnisschwäche festzuhalten. Der Schritt des Kleisthenes, aus der Not geboren und zudem auch noch ganz überflüssig, war seinerzeit nicht schön gewesen; aber, so sagte man, was ist ein Schritt? Er ist kein Ding, kein Gegenstand, keine Sache, nur ein Einfall, und wenn man ihn vergißt, ist er weg.
Das wäre perfide, wenn es eine typische Strauß-Gesinnung — ich meine Vogel-Strauß-Gesinnung — gewesen wäre, aber es entsprang tatsächlich nur
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