Rosen für Apoll
der heftigen ästhetischen Abneigung gegen Häßlichkeit. Die Griechen waren alle etwas unwahrscheinlich. Die heutigen Strauße sind alle sehr wahrscheinlich.
Jedoch nicht diese Gedächtnisschwäche war es, die die Perser so auf reizte, sondern etwas ganz anderes: Athen hatte vor kurzem zwanzig Kriegsschiffe nach Kleinasien entsandt, um die Stadt Milet in ihrem Unabhängigkeitskampf gegen den persischen Satrapen zu unterstützen.
Milet... Unabhängigkeitskampf... Um das zu verstehen, muß ich Ihnen erklären, was sich inzwischen seit der Kolonisation der kleinasiatischen Küste in diesem griechischen Landstreifen abgespielt hat.
Die Perser hatten — das lag kaum anderthalb Generationen zurück — von ihrem kleinen Stammland aus in einem beispiellosen Siegeszug das medische, assyrische, babylonische, elamitische, syrische und lydische Reich unterworfen und waren über Nacht unter ihrem Herrscher Kyros zur Weltmacht geworden. Das war zu jener Zeit geschehen, als Peisistratos in Athen die Tyrannis errichtete. Der zweite Perserkönig, Kambyses, raste wie ein Feuer weiter, stieß über Palästina bis nach Ägypten vor, überrannte es und ließ sich 525 auch noch zum Pharao krönen. Nun, abermals 2j Jahre später, saß Dareios auf dem Thron in Susa, Gebieter über neun Reiche, »Schutzherr« auch der Griechenstädte in Kleinasien. Seine Hand über diesem »Ionien« war milde und unsichtbar; er ahnte infolgedessen auch nichts von den Gedanken, die die Ionier bewegten.
Die Griechen haben die Perser nie verstanden. Sie haben sie als schwarze, düstere, knebelbärtige Teufel betrachtet und dieses Bild in die Welt gesetzt. Die griechischen Städte der kleinasiatischen Küste waren seit frühester Zeit fremde Nachbarn gewohnt, zuerst die Phryger, dann die Lyder, kultivierte Völker, kultivierte, großzügige Könige wie Midas und Gyges; geistige Strömungen gingen hinüber und herüber, in Ephesos verschmolz man Artemis, die Jägerin und Schwester Apolls, mit der phrygischen »Großen Mutter«, während auf der anderen Seite Midas ein tiefer Verehrer Apolls wurde und mit einer Millionenstiftung das Heiligtum des Gottes in Delphi zum »Rom« der Griechen machen half. Apoll hätte gewiß lieber Rosen gesehen, aber Priester ziehen Dinge vor, die länger frisch bleiben.
Die ionischen Städte blühten und gediehen damals. Ein ganz klein wenig war man natürlich von Lydien abhängig, aber es verletzte nie den Stolz. Die herrlichen Städte wie Milet, Ephesos, Lebedos, Phokaia, Elaia, Pergamon und die Inselresidenzen Samos, Chios, Mytilene, Hephaistia waren der alten Heimat lange Zeit weit voraus; die »Polis«, der unvergleichbare hellenische Stadtstaat, war ihre Erfindung, ja, man kann fast sagen, daß dort drüben an der kleinasiatischen Küste jener griechische Geist geboren wurde, den wir meinen, wenn wir das Wort Hellas aussprechen. Als sich in Athen, Sparta, Theben und Paros noch archaische Sänger wie Tyr-taios, Archilochos und Hesiod im Dienste der Götter oder des Vaterlandes in den ersten spröden Anfängen einer Dichtung versuchten, da schufen reine Lyriker wie Alkaios und die Sappho auf Lesbos bereits »Weltliteratur«. Und als Delphi noch an die Säulen des Herakles und die Erdscheibe glaubte, lehrten Anaximandros in Milet und Pythagoras in Samos schon die Kugelgestalt der Planeten, und Thaies von Milet berechnete die Sonnenfinsternis von 585 voraus!
Auch die flüchtigen Schatten der Assyrer und Babylonier hatten die lichten Städte, die »Riviera« Griechenlands, nicht verdunkelt. Die Perser aber, die nun seit 546 die Schutzherren waren — die verstand man nicht! Es waren Menschen, die zwar zur gleichen Zeit lebten, aber dennoch durch Jahrhunderte von den Ioniern getrennt schienen.
Das stimmt. Den Persern war Apoll vollständig gleichgültig, und eine Akropolis galt ihnen dann als schön, wenn sie uneinnehmbar war. Auch ein blonder Pais beeindruckte sie nur mäßig, und die notorischen Lügereien fanden sie nicht spaßig. Ihre Welt sah anders aus. Die Griechen hatten davon keine Ahnung. Sie wiederum empfanden die vergeistigte monotheistische Lehre Zarathustras als kümmerlich, die persische Strenge als düster, ihr Herrentum despotisch, die sprichwörtliche persische Wahrheitsliebe als witzlos. Am ekelhaftesten aber waren den kleinasiatischen Griechen die Perser dadurch, daß sie jetzt wieder auf ihrer 2 000 Kilometer langen, mit in tadellosen Poststationen besetzten »Königsstraße« wie auf einer Autobahn
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