Rosen für Apoll
Aspasia, gebürtige Mileterin, galt als eine der schönsten, geistreichsten und aufgeklärtesten Hetären ihrer Zeit; sie war Perikles’ zweite Frau. Hier schlug der Blitz also unmittelbar neben ihm ein. Die Beschuldigung lautete: Kuppelei und Gottlosigkeit. Beides hat sicherlich gestimmt. Perikles selbst verteidigte sie und mußte seinen ganzen Einfluß aufwenden, um den Freispruch zu erwirken. Noch gefährlicher war der dritte Prozeß. Man klagte Pheidias der Unterschlagung von Gold an, das der Staat für die Monumentalplastiken geliefert hatte. Jedermann wußte, wem der Prozeß in Wahrheit galt; Perikles war der Verantwortliche für die Abrechnung der Staatsaufträge. Die Anklage wurde noch auf Gottesfrevel erweitert. Sehr interessant, weshalb: Pheidias hatte auf dem Schild der Athenestatue sich selbst und Perikles abgebildet. Das Volk war ärgerlich. Den Namen eines Pais hätte er einschreiben dürfen! Das wäre ein Salut gen Himmel gewesen.
Pheidias starb während des Prozesses, der daraufhin eingestellt wurde.
Merkwürdigerweise — auch wenn wir nicht wüßten, daß Perikles unbestechlich war — , merkwürdigerweise erweckt das Treiben, das ihn unerwartet hilflos zeigt, unser Mitleid mit ihm. Er war nun 67 Jahre alt und hatte Ruhe verdient. Die Athener allerdings waren nicht dieser Meinung; sie fanden das alles nur unendlich spannend, denn es gab noch keine amerikanischen Filme.
Auch Perikles selbst scheint nicht dieser Ansicht gewesen zu sein. Man wird den Verdacht nicht los, daß er den Stuhl für seinen Sohn festhalten wollte; und so gab er sich das Air des Nimmermüden, des noch Kraftvollen, der noch lange rüstig ins Amt schreiten kann.
In diese Jahre fällt ein Gesetzesbeschluß, den man in seinen wahren Absichten bis heute nicht enträtselt hat. Ich meine das berühmt gewordene Perikleische Gesetz, das den seit ihrem Anschluß an Sparta verhaßten Megarern verbot, künftig auch nur einen Fuß auf attischen Boden zu setzen oder die Häfen der attischen Bundesgenossen anzulaufen. Eine undurchsichtige politische Manipulation. Man hat vermutet, daß das Gesetz weiter nichts bezweckte, als den Megarern klarzumachen, wie ohnmächtig ihr Beschützer Sparta war. Es ist auch möglich, daß es nur der übliche billige Zucker für die Wählermassen sein sollte. Und dann gibt es noch eine dritte Meinung. Sie nimmt an, daß Perikles in politischen und vor allem finanziellen Schwierigkeiten war und einen außenpolitischen Eklat als Ventil suchte.
Man würde sich über diese Dinge nicht so sehr den Kopf zerbrechen, wenn sie nicht den Peloponnesischen Krieg mit dem schließlichen Untergang Athens zur Folge gehabt hätten. Sah es Perikles? Sah er es nicht?
Die Megarer, die durch das Perikleische Gesetz vor dem wirtschaftlichen Ruin standen und die Attacke Athens nicht begriffen, wandten sich an Sparta um Intervention. Sie blieb erfolglos. Sparta hielt weiter still. Erst als Perikles dann auch noch Korinth wirtschaftlich abzuwürgen suchte, war das Maß voll, und die Lawine kam ins Rollen.
Im Mai 431 brach der lange, blutige Krieg aus, der in die Geschichte als Peloponnesischer Krieg eingegangen ist.
Die »goldene Zeit« Athens war zu Ende. Die Masse ahnte nichts davon.
*
Die Geschichte des Peloponnesischen Krieges, den man den dreißigjährigen Krieg Griechenlands nennen könnte, hat uns Thukydides geschrieben. Bei diesem Mann müssen wir einen Augenblick stehenbleiben.
Thukydides, der Historiker, wurde um 460 geboren. Er stammte aus vornehmem Hause, seine Mutter war eine thrakische Prinzessin. Thrakien wurde später, als er im Peloponnesischen Kriege zu hohen militärischen Ämtern aufstieg, auch sein Wirkungsfeld und dann, als er in die Verbannung ging, seine Zuflucht. Dort, auf seinen Besitzungen, schrieb er das Werk, das seinen Namen unsterblich gemacht hat. Was ihn hoch über Herodot erhebt, ist seine aufgeklärte, souveräne Unabhängigkeit von den alten Vorstellungen vom Eingreifen der Götter in die Geschicke der Menschen. Was ihn hoch über Xenophon und den späten Plutarch, ja eigentlich auch über alle Römer stellt, ist seine Wahrhaftigkeit. Außerordentlich und unbestechlich war sein Scharfblick. Er war der erste Historiker, der ergründete und deutete. Lebte er heute, so würde er wohl, genau wie damals, freiwillig in die Verbannung nach Thrakien gehen. Aber wo liegt heute Thrakien — ich würde es auch gern wissen.
Thukydides berichtet uns schon zur Vorgeschichte des Peloponnesischen
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