Rosen für Apoll
wieder genau dieselben beieinander, die schon das ganze letzte halbe Jahr zusammen in Chalkidike gewesen waren. Auch Sokrates war unter ihnen, jetzt 48 Jahre alt, Veteran aus drei Feldzügen. Um diese Zeit war er schon stadtbekannt. Kein großer Herr, bewahre; vielleicht hat er es bis zum Unteroffizier gebracht. Er war der Sohn eines Bildhauers und einer Hebamme und wohnte mit seiner vernünftig-resoluten Frau Xanthippe (Xanthippe heißt blondes Pferdchen, Falbe) in der Vorstadt Alopeke, streunte aber, seit er das väterliche Kunsthandwerk aufgegeben hatte und seinem »inneren Ruf« gefolgt war, elf von zwölf Stunden des Tages in den Gymnasien und den Häusern von Freunden herum. Es kamen jetzt die Jahre, in denen er sich in den Augen des Volkes langsam von einem Clown zum Georg Christoph Lichtenberg Athens entwickelte, zum Lichtenberg des gesprochenen Wortes, denn Sokrates hat nie eine Zeile geschrieben.
Das haben zwei andere für ihn getan: Platon und Xenophon. Der eine war gerade sechs, der andere neun Jahre alt. Ein Dritter wird ihnen berichtet haben, was Sokrates um diese Zeit an Weisheiten aus dem Ärmel schüttelte und wie er mit seinem lästigen Examinieren den Griechen auf die Nerven ging: sein Schüler, Verehrer und — wahrscheinlich — Freund Alkibiades.
Und damit tritt jener Mensch auf, der wie ein diabolisch-glanzvoller Renaissanceprinz vom Schicksal als Anachronismus noch einmal auf die Menge losgelassen wurde. Er war es, der die letzten Bremsen löste und unter dem Hallo des Volkes die Karre sausen ließ.
Alkibiades war — wie könnte es anders sein — Alkmaionide. Als der Nikiasfriede geschlossen wurde, 421, stand er im neunundzwanzigsten Lebensjahr. Schon ein Jahr darauf hielten die Alkmaioniden es für an der Zeit, ihren Sprößling auf seinen Stratosphärenflug zu katapultieren. Er wurde zum Strategen gewählt. Er war also mit dreißig Jahren kommandierender General und Regierungsmitglied. Was in seinem Kopfe vorging, wußte niemand, obwohl jeder etwas anderes zu wissen meinte. Als der alte Perikles noch lebte, war Alkibiades gemäßigter Demokrat gewesen, dann erbitterter Gegner der Kleon-Richtung; dann konspirierte er im Auftrag der Alkmaioniden mit Sparta; jetzt machte er gerade gemeinsame Sache mit Kleons Erben, dem Lampenfabrikanten Hyperbolos. Das will wohl was heißen.
Sein Bildnis kennen wir nicht. In Kopenhagen steht ein Marmorkopf, in dem man das Porträt Alkibiades’ vermutet. Wenn es stimmt, dann sah er wie ein spätrömischer robuster Soldatenkaiser aus. Die Alten schildern ihn aber als bestrickend schön, als ungewöhnlich elegant in seinen Gesten und seiner Mimik. Und alle sagen übereinstimmend, daß er trotz seiner aufreizenden Arroganz von unwiderstehlichem Charme sein konnte. Er soll glänzend gesprochen haben, sicher aber kunstlos, wie seine Rede im sechsten Buch bei Thukydides vermuten läßt. Er muß eine außerordentliche, rasche Auffassungsgabe, enorme Intelligenz und Bildung gehabt haben; aber diese Schönheiten ruinierte er wie eine Hure die ihren. Wenn er überhaupt einen Charakter gehabt hat, dann muß er bodenlos gewesen sein. Er kannte nur einen Gott: sich selbst.
Sein Auftreten war das eines Traumbildes, ob man ihn nackt in der Palästra sah oder bei seinem märchenhaften Aufzug in Olympia oder in seiner Jeunesse-dorée-Eleganz auf der Straße. Die Menge, die ihn hätte hassen müssen, staunte ihn als lebendig gewordenes Bild ihrer geheimen Wünsche an.
Ein lichter Cesare Borgia.
Wie klug er denken konnte, beweist seine erste Vorstellung als Staatsmann: Er verurteilte das militärische Freundschaftsbündnis, das man mit Sparta soeben noch zusätzlich zum Friedensvertrag geschlossen hatte, er verurteilte es als unnatürlich und unerfüllbar angesichts der unendlich vielen Krisenherde in den beiden Bereichen.
Wie zügellos und diabolisch er handeln konnte, beweist seine erste Tat als Staatsmann: Er setzte im Rat durch, daß Athen mit Argos, Mantinea und Elis einen Beistandspakt — natürlich gleich auf hundert Jahre — schloß. Argos, Mantinea und Elis waren just diejenigen drei Staaten im spartanischen Bereich, die antifeudal und antispartanisch waren. Ein Pakt mit Argos war der sichere Konflikt mit Sparta. Wenn einige Historiker sagen, die beiden Verträge Athens kollidierten nicht, so wird jeder Berufsdiplomat sie leicht belehren können. Ja, wäre Argos in dem Friedensvertrag Sparta-Athen mit drin gewesen, so könnte ein Pakt Athen-Argos allerdings
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