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Rosen für Apoll

Rosen für Apoll

Titel: Rosen für Apoll Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Fernau
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Kleon? Athen war zum erstenmal führerlos. Das ist schlimm. Schlimm? Das ideale Schicksal, meine Herren, das ideale Schicksal! Denn wenn eine überragende Persönlichkeit sich der Massenherrschaft zur Verfügung stellt, so ist die Situation eigentlich schon verfälscht. Angenehmer für die regierende Masse ist freilich, wenn sie Persönlichkeiten verschleißen kann!
    Der Kleinmut ergriff die Herzen, und in diesem schäbigsten Kleinmut kam das Volk auf den Gedanken, die Macht wieder aus den Händen zu geben!
    Aber an wen vergibt man sie, wenn niemand sie haben will? Man berief also zunächst eine Kommission von zehn alten Männern, die Rat wissen sollten. Sie wußten keinen. Sie gaben den Schwarzen Peter weiter an dreißig, und die gaben ihn weiter an vierhundert, und so wäre es wohl fortgegangen, wenn den Vierhundert nicht eine Idee von einmaliger Naivität gekommen wäre: Sie fanden, daß man jetzt, wo die »Lumpendemokratie« (neuester Lieblingsausdruck von Alkibiades) beseitigt war, eben diesen Alkibiades zurückrufen solle.
    Ich hoffe, daß Sie hier nicht die abwegige Frage stellen, was Alkibiades bewegen sollte, nun wiederum Sparta zu verraten! Nein, an dergleichen scheiterten die Vierhundert nicht, sondern daran, daß sie zu spät kamen. Inzwischen hatten sich nämlich die Matrosen der vor Samos liegenden athenischen Schrumpfflotte mit Alkibiades in Verbindung gesetzt; ihr Vorschlag unterschied sich von dem der Vierhundert nur durch die Kleinigkeit, daß Alkibiades die »Lumpendemokratie« nicht endgültig austilgen, sondern — wiederaufrichten sollte. Nach dem trefflichen Sprichwort »Wer zuerst kommt, mahlt zuerst« blieben die Matrosen in dem edlen Wettlauf um den herrlichen jungen Löwen Sieger.
    Der junge Löwe (inzwischen vierzig Jahre alt geworden) kümmerte sich zuvörderst nicht um Athen, er gedachte erst einmal irgendeinen glänzenden Sieg zu erfechten. Daß für das »über« begreiflicherweise nur die Spartaner in Frage kamen, störte ihn wenig. Am Hellespont wollte er mit der Wiedergewinnung Ioniens für Athen beginnen; dort kreuzte auch, wie er ja am besten wußte, die kleine peloponnesische Flotte.
    Im Mai 410 stieß er bei Kyzikos überraschend auf den »Feind«. Die Überraschung lag allerdings vollständig auf seiten der Spartaner. Ihr Gastfreund Alkibiades mit athenischen Schiffen — das war das letzte, was sie erwartet hatten!

    Mehr Zeit als zu dieser verspäteten Einsicht blieb ihnen auch nicht; sämtliche Schiffe wurden in Grund gebohrt oder gekapert, der Admiral fiel im Kampf, die Besatzungen retteten sich mit Mühe und Not schwimmend an das Ufer.
    Das war, fand Alkibiades, das richtige Entree für Athen. Von den Wellen seines neuen Ruhms als »Retter des Vaterlandes« getragen, kam er heim, und die Athener bereiteten dem immer noch zum Tode Verurteilten einen brausenden Empfang. Wie Schillers Isolani konnte er sagen: »Wir kommen auch mit leeren Händen nicht!« Er wies seine Hände vor, und siehe, da klebten, außer dem Blut seiner Gastfreunde, zahllose geraubte Schätze aus den Hellespontstädten und einige hundert von den Ioniern erpreßte Talente. Dann erschien er vor Gericht, den Auftritt zu einer großen Szene gestaltend. Er schilderte dem gebannt lauschenden Volke, wie entsetzlich er unter den Verdächtigungen gelitten, wie er mit den Göttern gehadert habe und wie schrecklich die Zeit der Heimatlosigkeit gewesen sei. Er konnte, von seinen eigenen Worten überwältigt, sich der Tränen nicht erwehren. »Doch«, schreibt Plutarch, »doch machte er dem Volke nur wenige und gelinde Vorwürfe...«
    Die Athener setzten ihm einen goldenen Kranz aufs Haupt, gaben ihm seinen Besitz zurück und wählten ihn zum »Uneingeschränkten Befehlshaber zu Wasser und zu Lande«. Wenn Sie, verehrter Leser, an dieser Stelle noch einmal kurz überschlagen, was sich im Alkibiadischen Abschnitt des Peloponnesischen Krieges ereignete, und sich vielleicht freundlicherweise der Hauptstichworte erinnern: sizilianische Expechtion, Einschließung Athens, persisch-spartanische Verständigung, Auflösung des Attischen Seebundes, neue Schwenkung Alkibiades’ und Sieg am Kyzikos, ich sage: Wenn Sie dieses Resümee ziehen und zugleich beim Vorblättern festgestellt haben, daß der Abschnitt auf der nächsten Seite endet, so werden Sie sich kaum vorstellen können, daß ich bei der Faustregel den Alkibiadischen Kriegsabschnitt als unterschieden kennzeichnete. Auch die Athener konnten es sich nicht vorstellen.

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