Rosen für die Kaiserin
eine Zumutung. Es war eine Heimsuchung.
Keinen Jungen, dem sie je begegnet war, hasste sie mehr als ihn. Immer wieder legte Brun es darauf an, ihr den letzten Nerv zu rauben. Er war frech, unverschämt und einfach widerwärtig. Außerdem sah er aus wie ein hässlicher, dicker Kobold, fand die Siebenjährige. Noch vorhin, während Pater Roland die Trauung vollzogen hatte, war es Brun in den Sinn gekommen, ihr hinterrücks einen glitschigen Frosch ins Kleid zu stecken. Vor Schreck hatte Jutta laut aufgeschrien und die missbilligenden Blicke derer, die in der Kapelle versammelt waren, auf sich gezogen. Später, als die Hochzeitsgesellschaft Einkehr auf dem Hof hielt, goss er ihr mit voller Absicht einen Becher Met über den Kopf. Sie hatte sich beim Vater darüber beschweren wollen, doch der hatte kein Ohr für sie gehabt.
Also beschloss sie, das Fest zu verlassen, auch wenn ihr das hinterher womöglich Ärger einbrachte. Denn seitdem sie sich im Wald verlaufen hatte, wollte der Vater nicht, dass sie allein unterwegs war. Dennoch hatte Jutta seine Anweisung schon des Öfteren missachtet und war einfach verschwunden. Inzwischen kannte sie den Wald so gut, dass es ihr nicht noch einmal passieren würde.
Sie genoss das Alleinsein, während um sie herum die Vögel sangen. Es gab einen kleinen Tümpel in der Nähe, wohin sie sich gern zurückzog. Dort setzte sie sich im Schatten einer Trauerweide ans Ufer und warf Steinchen ins Wasser. Sie stellte sich vor, wie die Steinchen sich durch den Zauber einer Wasserfee in Goldklumpen verwandelten, die sie eines Tages nur noch aus dem Wasser holen musste. Dann wäre sie so reich wie die schöne Kaiserin Theophanu. Nun ja, ein bisschen reich war sie schon. Immerhin besaß sie eine Haarspange aus Silber und einen Denar. Aber das reichte beileibe nicht aus, um später ein unbeschwertes Leben führen zu können.
Manchmal dachte sie zurück an die kämpfenden Männer. Das war keine schöne Erinnerung – Blut, Röcheln, brechende Augen, Tod. Anfangs hatte sie noch ein schlechtes Gewissen gehabt, den Denar von dem Sterbenden angenommen zu haben. Inzwischen dachte sie anders darüber, denn schließlich war es nicht ihre Schuld, dass die beiden Kerle sich gegenseitig umgebracht hatten.
In der Ferne hörte man die Laute des Musikanten, der zum Tanz aufspielte. Gelächter! Die Hochzeitsgäste amüsierten sich prächtig. Dazu wehte ein sanfter Wind den köstlichen Bratenduft herüber. Wirich hatte dafür gesorgt, dass Helmprecht seinen Gästen etwas bieten konnte. Die Wildsau, die über dem Spieß briet, war sein Hochzeitsgeschenk. Jutta lief das Wasser im Mund zusammen – wann hatte sie zum letzten Mal etwas so Köstliches gerochen? Dennoch verspürte sie keinen Drang zur Rückkehr. Hier, an ihrem Tümpel, genoss sie ihre Ruhe und Bruns Abwesenheit.
Zumindest hatte sie sich das so vorgestellt. Doch plötzlich vernahm sie ein Zischen, dann flog ein Geschoss haarscharf an ihrem Kopf vorbei. Erschrocken schrie sie auf. Ein Pfeil, besser gesagt ein angespitzter Buchenast, schwamm auf der sich kräuselnden grünen Wasseroberfläche. Augenblicklich wusste sie, wer dafür verantwortlich war. Wütend ballte sie die Fäuste und sah sich um.
Brun! Grinsend stand er nur wenige Schritte hinter ihr, in seinen Händen hielt er den selbst gebauten Bogen, auf den er so stolz war.
»Idiot! Fast hättest du mich getroffen«, schimpfte Jutta.
»Ja. Wenn ich es gewollt hätte.«
»Warum bist du nicht auf dem Fest?«
»Und du?«
»Verschwinde!«
»Keine Lust. Ich bleibe lieber.«
»Na gut. Dann verschwinde eben ich.« Ihr war nicht nach einem Streit mit Brun zumute. Da suchte sie lieber selbst das Weite. Ihre Haare klebten immer noch von dem Met, und womöglich hatte er vor, sie nicht nur mit Pfeilen zu behelligen.
»Du schuldest mir immer noch einen Denar, kleine Kröte«, erklärte Brun.
»Einem Idioten schulde ich gar nichts.«
»Irgendwann gibst du mir den Denar schon freiwillig«, behauptete er großspurig. »Oder ich finde ihn selbst.«
Jutta verkniff sich ein triumphierendes Grinsen. Vorsorglich hatte sie nämlich das Versteck ihres Schatzes gewechselt. Er befand sich nicht mehr unter ihrem Schlaflager, wo er vor Brun, mit dem sie nun gezwungenermaßen unter einem Dach leben musste, nicht sicher gewesen wäre. Sie hatte Spange und Münze in ein Tuch gewickelt und alles hinter dem Stall vergraben. Genau zehn Fußlängen waren es bis zur Ecke des Gebäudes. Im Gegensatz zu Brun konnte sie
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