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Rosen für eine Leiche (German Edition)

Rosen für eine Leiche (German Edition)

Titel: Rosen für eine Leiche (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
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legte das Tuch langsam zurück auf den
Tisch.
    Zuerst nickte ich, als wüsste ich genau, was sie meinte. Sekunden
später fiel es mir wirklich ein. Heute war der 20. Juli, okay. Doch heute war nicht
irgendein Geburtstag. Heute war Lolas vierzigster.
    »Herrgott noch mal«, brach es aus mir heraus. »Niemand wollte dir
wehtun. Ich hab es vergessen, ja. Ich hab deinen Geburtstag vergessen.
Verzeih.« Es fiel mir schwer, wie ein reuiger Sünder die Arme nach ihr
auszustrecken. Aber ich tat es.
    Lola nahm keine Notiz davon. Ihr Blick verfinsterte den Raum. Sie
schob ihren Stuhl sorgfältig an den Tisch heran und wischte imaginären Staub
von der Lehne. Sie griff nach dem Ohrring auf meiner Hand und schleuderte ihn
mit einer heftigen Bewegung über den Tisch. Sie öffnete die andere Hand und
ließ das Glas mit dem Champagner senkrecht fallen. Sie stieß ein kurzes Lachen
aus, das wie Husten klang. Dann ging sie, ohne in die Scherben zu treten und
ohne ein weiteres Wort hinaus.
    Meine Arme fielen herab. Sie hingen an mir herunter, als gehörten
sie nicht zu meiner Gestalt. Es gibt Momente, die ein Leben völlig umkrempeln
oder eine Wendung nehmen lassen, die so dramatisch ist, dass man es vorher
niemals in Betracht gezogen hätte. Dies war so ein Moment. Er war für Lola und
für mich unverrückbar und unauslöschlich, auch wenn ich mir später noch so
leidenschaftlich wünschte, ich könnte ihn aus der Welt schaffen.

SECHS
    »Seit wann rasierst du dich nicht mehr?«, fragte Chili.
»Willst du dich der Sozietät der Parkbewohner anschließen?« Sie schenkte mir
ihr schönstes Lächeln.
    Ich antwortete nicht. Stattdessen fuhr ich mir übers Kinn. Es
kratzte. Ich musste an die Szene mit Lola im Restaurant denken. Genau genommen
dachte ich ununterbrochen daran. Chili und ich saßen uns auf zwei Stühlen in
meiner Küche gegenüber. Das Fenster stand offen, eine schwere Schwüle drang
herein. Sinnbild meiner Stimmung. Kein Vogel war zu hören. In die Luft mischte
sich der Geruch von frisch gemähtem Gras.
    Chili tippte mir aufs Knie. »Was ist eigentlich mit dieser Frau los,
na, wie heißt sie schon? Die von nebenan, die ständig mit einer Strickjacke und
einer Gießkanne rumrennt.«
    »Die Frau Steiner«, sagte ich. »Warum, was ist mit ihr?«
    »Ach, sie hat mich vorhin wie eine Verwandte begrüßt. ›Guten Morgen,
Sie wollen bestimmt zu Herrn Ottakring‹, hat sie gesülzt. ›Sie müssen ihm
beistehen, der hat’s ganz schön schwer im Moment.‹ Ich bin geflüchtet, ich hab
geschaut, dass ich bei dir durch die Tür gekommen bin. Trotzdem: Was meint die
Dame mit ›hat’s schwer im Moment‹? Willst du mir das verraten?«
    Ich zuckte die Schultern. »Keine Ahnung«, sagte ich. Ich konnte mir
schon denken, worauf die Steinerin anspielte. Sie hatte ihre Augen überall und
war darauf spezialisiert, den leisesten Lufthauch zu interpretieren.
    »Bemerke ich da eine Veränderung an dir? Entweder du bist frisch
verliebt oder das Gegenteil, richtig? Was ist, Onkel Joe?«, sagte Chili und
schaute mir in die Augen.
    »Spielt keine Rolle jetzt.« Ich versuchte, Chilis Blick
festzuhalten. Zum ersten Mal fiel mir auf, dass ihre Augen unterschiedliche
Farben hatten. In diesem Licht waren sie nicht nur dunkelgrün.
    »Links grün, rechts türkis«, sagte Chili. Sie hatte meine Gedanken
erraten und lachte mich an. »Also, was ist mit dir? Du befindest dich doch in
einem Zustand geistiger Verengung.«
    Sie hatte ja recht. Ich musste diese Depression loswerden. Ich
verteilte eine aufgeschnittene Tomate auf einem Kanten Brot und legte ein paar
Sardellen darüber. »Möchtest du?«, fragte ich Chili.
    »Nein, danke. Muss noch Auto fahren«, sagte sie.
    Ich biss selbst ins Brot. Saft rann mir übers Kinn. Ich ging ins
Wohnzimmer, legte eine alte John-Denver- CD auf und drehte den Lautstärkeregler nach rechts.
    Dann stand Chili hinter mir. »Komm, lass uns auf deine wunderschöne
Terrasse gehen«, sagte sie weich. »Dann hörst du die Late-Late-News aus dem
Präsidium.«
    Herr Huber wartete schon. Er kam unterm Tisch hervor und setzte sich
erwartungsvoll vor mich hin. Als er nichts vom Brot bekam, ging er zu Chili und
rieb den Kopf an ihrem Schenkel.
    Die langen Tage der Hitze hatten meinen frisch gepflanzten Garten
mürbe gemacht. Ich musste täglich zwei- oder dreimal gießen, um die Schwermut
hängender Blätter, Knospen und Blüten zu vertreiben.
    »Mein Gott, ist das schön hier in Oberbayern«, sagte Chili draußen.
Sie reckte die

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