Rosen für eine Leiche (German Edition)
anderen Worten: Ihr habt nichts Konkretes.«
Chili nickte.
»Natürlich gehen wir immer noch davon aus, dass die Sauer auch die
Tatwaffe ist. Und dass der Mann die Frau getötet und anschließend sich selbst
erschossen hat.«
»Immer noch«, hatte sie gesagt. Mir fielen die zahlreichen
Fragezeichen auf, die aus ihren Worten sprachen.
Chili hatte die Aprikose fertig gegessen und schleuderte den Kern
flach über den rosenbewachsenen Maschendrahtzaun. »Okay, wir haben die Leichen
identifiziert. Doch was den Scholl nicht in Ruhe lässt, ist: Warum waren die
beiden nackt? Nicht unbedingt die übliche Form, um aus dem Leben zu scheiden.
Dann der Kahn. Es war tatsächlich Liebermanns Kahn, in dem sie lagen. Er wurde
von ihm identifiziert. Liebermann haben wir natürlich überprüft. Kein Kontakt
zu den Toten, also auch kein Motiv. Nach heutigem Stand war es reiner Zufall,
dass ausgerechnet sein Kahn geklaut und benutzt wurde.«
Mich wunderte, warum Liebermann seine Vernehmung mir gegenüber mit
keiner Silbe erwähnt hatte. Ich würde ihn nach dem Grund fragen. Meine
polizeilichen Instinkte waren hellwach.
Chili stellte sich vor die Rosen, verschränkte die Arme und blickte
talwärts.
»Bei dem Wasser in den Lungen des Mannes hat bisher noch keiner
genügend Phantasie entwickelt, um sich einen Reim darauf zu machen. Als wenn er
das Wasser in kleinen Blasen inhaliert hätte, sagen sie in der Frauenlobstraße.
Aber deuten können sie es auch nicht.«
Sie runzelte die Stirn und schaute mich an.
»Wenn du mich fragst …«, sagte sie und ging unruhig auf und ab.
»Auf der Pressekonferenz wurde doch von den Spermaspuren berichtet. Von dem
Sperma, das wir an diversen Stellen der weiblichen Leiche gefunden haben.«
»Ja«, sagte ich, »ich erinnere mich. An welchen Stellen eigentlich?«
Trogen meine Augen? Oder hatte sich da eine Spur von Schamrot über
Chilis Wangen gelegt?
Sie wich aus.
»Ich hab dir aber noch nicht gesagt, dass die Spuren nicht von dem
Toten sind.«
Donnerwetter! Es war eine kleine Sensation, was Chili da in leichtem
Plauderton verkündete. Doch ich tat unbeteiligt und fragte weiter.
»Wer ist eigentlich der Mann?« Ich knurrte ein bisschen und streckte
die Beine aus. »Du erzählst ständig nur von der Frau. Ihr werdet ihn ja wohl
auch identifiziert haben. Rück schon raus damit.«
»Giorgio Bellini heißt der Mann. Wäre im September dreiundsechzig
geworden.« Sie verscheuchte eine Fliege von ihrem Unterarm. »Hübscher Name,
nicht? Giorgio Bellini. Ein stinkreicher Kunsthändler. Verheiratet, lebte
getrennt. Helen war tatsächlich seine Geliebte, ganz offiziell, er hat sie auch
als Künstlerin gefördert. Sonst nichts Auffälliges an dem Mann. Deutet alles
auf Eifersucht hin, nicht? Fragt sich nur, wer der Glückliche war, auf den
Bellini eifersüchtig war.«
Chili ging noch einmal an den Aprikosenstrauch. Als sie zurückkam,
hatte sie eine Frucht in der Hand und wieder diesen Blick, mit dem sie mich so
unruhig machen konnte. Eine Aura absoluter Weiblichkeit umgab sie.
»Und nun kommt’s«, sagte sie geheimnisvoll. »Du wirst nicht erraten,
an welchem anderen Objekt wir die gleiche Fremd- DNA wie in dem Sperma gefunden haben.«
Sie machte eine Pause, setzte sich wieder auf den blauen Stuhl und
verschränkte die Beine.
Es schien spannend zu werden.
»Der Speichel an der Kippe, die du so nebenher in Litzldorf
aufgesammelt hast, hat dieselbe DNA wie das Sperma.«
Sie stand wieder auf.
»Das bedeutet, dass jener Unbekannte, von dem das Sperma stammt,
vorher oder nachher in Litzldorf war und diese Zigarette geraucht und
weggeworfen hat.«
»So ganz nebenher hab ich die Kippe nicht aufgesammelt«, murmelte
ich aus dem Mundwinkel heraus. Mit geschlossenen Augen schob ich den
Unterkiefer hin und her. »Eindeutig dieselbe DNA im Sperma und im Speichel?«, fragte ich.
»So sicher, wie du Josef Ottakring heißt.«
Ich ließ meinen ungewohnten Taufnamen eine Weile nachklingen. Dann
sah ich Chili scharf an und sagte: »Habt ihr eigentlich noch nie daran gedacht,
dass Helen Esterding und Giorgio Bellini von einem oder mehreren Dritten
erschossen worden sein könnten? Dass es kein Selbstmord von Bellini war?
Sondern ein Doppelmord an ihm und seiner Freundin?«
SIEBEN
Der Wahnsinn dieses Sommers passte in kein Schema. Für
mich war es der Sommer eines ekelhaften Mords.
Doch mit einem Schlag war die Hitze vorbei. In der Frühe war es
kühl, und der Himmel sah verschimmelt aus. Tautropfen hatten
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