Rosen für eine Leiche (German Edition)
Herrenhaus lässt Ihnen
ausrichten, dass sie nicht gestört werden möchte. Sie sollen sich am 20. Juli
wieder melden.«
»Wir haben August«, sagte ich. »Juli ist vorbei. Sie haben falsch
verstanden.«
»Nein, ich habe nicht falsch verstanden, mein Herr. Ich habe die
Notiz direkt vor mir liegen. 20. Juli
steht hier. Aber 20. Juli
im nächsten Jahr.«
Diese Nacht wurde eine der längsten in meinem Leben. Ich
stand mitten in meinem Schlafzimmer und erwischte mich dabei, wie ich das ungemachte
Bett anstarrte. Ich stützte mich mit beiden Händen an der Kante des stummen
Dieners ab und musste mich beherrschen, nicht den Kopf darauf sinken zu lassen.
Ich stieß gegen die Wand, und ein Bild fiel herunter. Herr Huber kam herein und
beäugte mich. Ich trat mit dem Fuß nach ihm.
Erst wenn man etwas entbehrt, weiß man es wirklich zu schätzen. Lola
war allgegenwärtig. Sie ging mir nicht mehr aus dem Sinn. Ich grübelte, warum
sie nichts mehr von mir wissen wollte. Dass ich ihren Geburtstag vergessen
hatte – allein das konnte es unmöglich gewesen sein. Erst als ich im
Morgengrauen dem Licht entgegenblinzelte, wurde mir endgültig klar, dass ich
ein neues Leben beginnen musste, eines ohne Lola. Sie war so eine starke Frau
und, wenn es sein musste, unerbittlich. Wenn Lola einmal einen Entschluss
gefasst hatte, war er unumstößlich.
Ich legte Herrn Huber die Leine um und marschierte mit ihm auf einen
Berg, anschließend schwammen wir beide bei Regen im Inn gegen die Strömung an.
Der Hund war bärenstark und gewann.
Jedes Mal, wenn das Telefon schellte, nahm ich es in der Hoffnung
ab, es möge Lola sein. Ich versuchte, mich in ein Buch zu vertiefen und in
einem Werk über romanische Kirchen herumzustudieren. Ohne Erfolg. Mir fehlte
die Konzentration.
Doch es ging aufwärts. Mein Beruf hatte mich gelehrt, Unangenehmes
abzuschütteln. Das kam mir jetzt zugute. Immer öfter gelang es mir, Lola für
einige Zeit aus meinem Kopf zu verscheuchen. Ich heftete mein Interesse an den
Fall der Toten im Boot. Das half mir, mich abzulenken.
»Hallo, Olga, Ottakring hier. Wie geht’s Ihnen?«
Olga Stripli, meine frühere Sekretärin. Ich hatte sie geduzt, wie
alle anderen auch, doch nun, als Kriminalrat a.D., stand es mir nicht mehr
zu, fand ich.
»Ach, Herr Ottakring, ist das aber eine Freude. Ich hab schon von
Ihren Aktivitäten in Rosenheim gehört. Sie können’s also nicht lassen. Sie
rufen wegen dem Brief an?«
Ich hatte einfach ins Blaue hinein einen Rundumschlag machen wollen.
Herausfinden, welche Kreise die Sache inzwischen in München gezogen hatte.
»Welcher Brief?«, fragte ich vorsichtig.
»Ach, dann wissen Sie’s noch gar nicht? Also haben die Rosenheimer
doch dichtgehalten. Na, das mit dem Abschiedsbrief. Das geht grade eh an die
Presse.«
Aha, es gab Neuigkeiten. Wesentliche sogar, so wie die Stripli
klang. Die Münchener gaben offensichtlich Amtshilfe für ihre Rosenheimer
Kollegen.
»Wir haben einen Abschiedsbrief gefunden. Auf einem Sideboard im
Entree von Giorgio Bellinis Haus. Sollte wohl gefunden werden, das Ding, sagen
unsere Leute. Na, Sie werden die Info ja von den Rosenheimern erhalten.«
»Erzähl, Olga. Du hast mich neugierig gemacht.« Ich ertappte mich
beim Duzen. Ich musste mich bremsen. »Jetzt können Sie mir’s ja gleich selber
schildern. Wo ich schon in der Leitung bin. Ich höre.«
»Aber Sie müssen mir versprechen, dass es vorläufig unter uns
bleibt.«
»Kennen Sie mich oder nicht, Olga? Ist Tratschen mein bevorzugtes
Hobby? Schießen Sie schon los.«
»Also gut. Unglückliche Liebe halt. Bellini schreibt in diesem
Brief, dass die Frau ihn betrüge und er in ständiger Angst leben muss, weiter
betrogen zu werden. Und trennen könne er sich auch nicht von ihr. ›Lieber bring
ich uns um‹, schreibt er.«
»Und was ist Ihre Einschätzung, Olga?«, fragte ich. »Oder die der
Kollegen? Sind die immer noch davon überzeugt, dass es Mord und Selbstmord
war?«
Es blieb still in der Leitung. Ich hörte Papier rascheln. Dann
meldete Olga sich wieder.
»Also wenn Sie mich fragen, war das Selbstmord. Was sonst als
Selbstmord soll das gewesen sein? Die Kollegen sagen ja auch, dass man sich
eindeutiger kaum umbringen kann, als sich die Rübe halb wegzublasen.«
Herr Huber hatte mittlerweile »bei Fuß« gelernt, ich nahm
ihn an die Seite und marschierte mit ihm fast zwei Stunden am Inndamm entlang.
Wir waren die Einzigen außer ein paar Krähen, die hoppelnd den Damm
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