Rosen für eine Leiche (German Edition)
mit
phänomenalem Gedächtnis.
»Olga, Ottakring hier«, meldete ich mich. »Sie erinnern sich doch an
Herbert Priegel?«
»Ja freilich«, sagte sie ohne Umschweife, »und ob.«
»Erzählen Sie. Machen Sie’s kurz. Nur Fakten bitte.«
Sie antwortete, als hätte sie gerade im Archiv nachgelesen und meine
Frage schon lang erwartet.
»Größe eins sechsundneunzig, Gewicht einundsiebzig Kilo. Blonder
Oberlippenbart. Beruf Koch. Wegen Mord zu lebenslänglich verurteilt. Seinen
ersten Mord hat Priegel aber schon begangen, als er noch ein Bub war. Ein
Klassenkamerad war unter mysteriösen Umständen bei einem Schulausflug von einem
Felsen gestürzt und hatte sich das Genick gebrochen. Doch nach all den Jahren
haben wir dem Priegel die Tat nicht mehr nachweisen können.«
»Gut, Olga. Wann war das mit der Frau, die er erschossen hat?
Weswegen er verurteilt wurde?«
»1983.
Oktober 1983.
Eine Frau namens Lisbeth Krupka wurde erschossen, als sie gerade im Innenhof
ihres Wohnblocks die Wäsche aufhängte. Ein Schuss von hinten in den Rücken, der
andere aufgesetzt in die Stirn. Es hat Wochen gedauert, bis Sie die Spur zu
Priegel bekamen und Sie ihn schließlich überführen haben können. Die Tatwaffe
war eine SIG Sauer P 226, es gab kein
Motiv. Die Frau wohnte in einem weit entfernten Stadtteil, und Priegel hatte
sie nie vorher getroffen. Sie haben damals gesagt, das sei bisher der einzige
Mord gewesen, der Ihnen untergekommen war, der aus reiner Mordlust geschehen
ist.«
»Und dann hätt ich doch beinah selber einen Mord begangen, Olga,
nicht?«
»Ja. Vor sechs Jahren. An dem JVA -Psychiater,
der Priegel rauslassen wollte. Übrigens, Herr Ottakring. Es sind jetzt über
zwanzig Jahre nach der Tat. Könnte es nicht sein, dass sie ihn wirklich
rauslassen? Rufen Sie deswegen an?«
»Absolut. Sicherungsverwahrung wurde damals noch nicht angeordnet.
Und was die Weicheier in unserer Justiz heutzutage so verbrechen … Olga,
du checkst bitte, ob der Priegel noch drin ist.«
»Freilich. Mach ich.«
»Noch was, Olga«, schob ich nach.
Erwartungsvolles Schnaufen am anderen Ende.
»Ich hab’s dir damals schon geraten, dich mit deinem Gedächtnis bei
›Wetten, dass …?‹ zu bewerben. Nun tu’s endlich, verdammt.«
Als ich nach Hause kam, stand ein roter Mini Cooper vor
der Tür. Mir schoss das Blut in den Kopf. Ich legte die Hand auf die Motorhaube.
Das Blech war noch warm.
»Frau Herrenhaus ist da, Herr Odelkring. Endlich ist sie wieder da.«
Es klang, als hagele es kleine Eiskörner vom Balkon gegenüber.
Aus dem Gebüsch ertönte das metallene Gezirpe der Lerchen. Ich ging
direkt ums Haus herum auf die Terrasse.
Da saß Lola.
Sie hatte es sich bequem gemacht, einen zweiten Stuhl herangezogen
und die Beine hochgelegt. Herr Huber beschnüffelte sie, warf sich aber ohne
sonderliches Interesse unter den Tisch. Er kannte sie ja kaum.
»Hi«, sagte Lola und hob eine Hand zum Gruß, ohne sich umzuwenden.
»Ich bin wieder zurück.«
Mir blieb das Herz fast stehen.
»Du meinst, du kommst zu mir zurück?«
Ich muss ein Gesicht gemacht haben wie ein Kind, das eine
unvermutete Eins im Zeugnis findet.
»Na, du musst ja nicht gleich das Schlimmste befürchten. Da haben
wir ja eine Abmachung, 20. Juli,
erinnere dich! Nein, ich bin aus Sardinien zurück. Rate mal, wen ich da
interviewt hab.«
Lola sah wieder umwerfend aus. Ihr Haar umrahmte das gebräunte
Gesicht, sie trug Jeans und einen Gürtel mit Drachenmotiv, darüber ein
yuccagrünes Top mit strassbesetztem Ausschnitt. Ich spürte das altvertraute
Ziehen im Unterbauch.
»Adriano Celentano.« Sie sprach den Namen sehr italienisch aus.
»Und den willst du jetzt heiraten?«, sagte ich.
Ich merkte, wie mein Verstand jeden Witz und meine Stimme jegliches
Volumen verloren hatte.
Drinnen klingelte das Telefon. Ich wusste, der AB war an.
Lola gab ihre Liegestellung auf und kroch aus den Stühlen. Sie hatte
ein eigenartiges Lächeln auf den Lippen und tippte sich gedankenverloren mit
dem Daumennagel an die Zähne.
Früher, wenn ich mit Lola zusammen gewesen war, geriet ich manchmal
in einen Zustand der Selbstverlorenheit, den ich hinterher nie fassen konnte.
In ihrer Gegenwart war ich schwerelos geworden, hatte geschwebt vor Glück,
hatte den Duft ihres Parfüms geatmet, an ihren Augen geklebt, die Wärme ihrer
Haut durch ihr Kleid hindurch gespürt.
Jetzt, hier, als sie so unvermittelt auf meiner Terrasse auftauchte,
war es, als hätte ich mich in meinen
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