Rosen für eine Leiche (German Edition)
langsam den Kopf.
Der Mann lag auf dem Rücken. Ein Arm war nach hinten weggestreckt,
der andere abgewinkelt. Er trug einen Jeansanzug, die Beine in braunen
Cowboystiefeln mit weißen Stickereien. Aus einem Riss über der Schläfe rann
Blut in die Lache, die sich bereits auf dem Asphalt angesammelt hatte.
Ich trat vor und erwischte mich beim Räuspern. Das tat ich immer,
wenn ich hochdeutsch vor Publikum reden musste.
»Gibt es Zeugen?«, rief ich und drehte mich um meine Achse. »Hat
jemand beobachtet, wie das geschehen ist?«
»Halt, Polizei«, erklang es hinter mir. »Bitte treten Sie zur
Seite.«
Scholl mit seiner Truppe aus dem Bierzelt rückte an.
»Alles klar?«, fragte er mich unaufgeregt.
»Absolut«, sagte ich. »Ein toller Anblick.«
Der Mann war tot. Das Blut rund um das Loch in seiner
Stirn war dabei, zu gerinnen. Ich habe es noch nie erlebt und noch nie davon
gehört, dass sich eine komplette Mordkommission so nah am Tatort befand wie in
diesem Fall.
Zwei Polizisten knieten vor der Leiche.
Chili und ich wurden von Scholl persönlich vernommen. Er verzog
keine Miene, als er hörte, dass wir uns fünfzig Meter über dem Herbstfest zur
selben Zeit am selben Ort befunden hatten. Chili als Mitglied des Rosenheimer
Kommissariats 3,
Tatortarbeit, konnte sich gleich danach an die Arbeit machen. Mir bot Scholl
an, bei den ersten Zeugenaussagen dabei zu sein.
Wir befanden uns in einem Raum der Wiesnwache, die sich sonst um
Schlägereien, Diebstähle und verlorene Kinder zu kümmern hatte. Scholl saß an
einem Tisch mit abgewetzter Platte der Witwe des Getöteten gegenüber. Ihr Name
war Christnacht. Von draußen drang Lautsprechermusik herein, eine Frauenstimme
pries in kurzen, abgehackten Sätzen die Gewinne einer Lotterie an.
»Mein Mann und ich sind aufs Herbstfest gegangen, weil wir dem
Burschi eine Freud haben machen wollen.« Frau Christnacht runzelte die Stirn,
und ihre Augen bewegten sich zwischen Scholl und mir hin und her. »Wissen Sie,
wir leben getrennt, mein Mann und ich. Aber für den Burschi sind wir immer da.«
Der Burschi war zwölf Jahre alt und hatte auch einen Namen: Max.
Max Christnacht äußerte sich: »Ja, und der Papa hat mir einen
Paradiesapfel gekauft. Den wollt ich grad essen und …« Weiter kam Max
nicht. Er schmiegte sich an seine Mutter und hörte nicht mehr auf zu weinen.
Eine Beamtin der Wache zog ihn sanft zur Tür. »Komm, Burschi, wir
besorgen dir einen neuen Apfel.«
Frau Christnacht rieb sich mit den Knöcheln beider Hände über die
Augen, zur Nase hin. Ihr Mund war breit und feucht, als sie Scholl mit einem
verlegenen Ausdruck anlächelte.
»Ja, ja, der Burschi liebt Paradiesäpfel, seit der laufen kann. Der
lutschte gerade daran herum, als der fremde Mann uns von hinten überholt hat.
Der Mensch hat einfach rübergegriffen und ihm den Paradiesapfel aus der Hand
gerissen.«
»Wie hat der Mann ausgesehen? War er groß? Was hatte er an? Ein
alter Mann oder ein junger?«
Die Frau weinte nicht. Sie benahm sich so, als wäre ihr soeben die
Nachricht vom Tod eines entfernten Verwandten ins Haus geflogen. Sie stützte
die Ellbogen auf die Knie und wippte mit dem Oberkörper vor und zurück.
»Groß«, sagte sie, »groß und hager. Das Gesicht hab ich nicht
erkennen können. Dafür ging alles zu schnell. Irgendwas Legeres hatte er an,
ein Buschhemd oder so. Was Blaues, Jeans, ja, Jeans vielleicht.«
Scholl war aufgestanden. Er öffnete die Tür einen Spalt und warf
einen Blick hinaus.
»Dem Burschi geht’s gut«, sagte er und nickte der Frau zu.
Mir war klar, dass der Max gar nicht da draußen war. Sie hatten ihn
weggebracht.
»Und«, fragte Scholl. »Und was hat Ihr Mann gemacht? Was hat er
getan? Wie hat er reagiert?«
Scholl hatte seinen Stuhl in den Raum gerückt und saß nun direkt
neben der Frau. Von der Seite tasteten seine Augen die Linien ihres Gesichts
ab.
Ich saß am Fenster und beobachtete.
»Na ja, als er begriffen hat«, erwiderte Frau Christnacht, »dass da
einer seinem Burschi den Paradiesapfel weggenommen hat, ist der gleich
losgerannt. Hinter dem her, durch die Leute durch, bis ich den Schuss gehört
hab. Da hab ich den Burschi ganz fest an mich gedrückt, weil der drauf und dran
war, auch hinterherzustarten. Ja, und das war’s dann eigentlich.«
Sie kreuzte ihre nackten Unterarme auf der Tischplatte und sagte:
»Dann war er tot, mein Mann.«
Keine Tränen. Ich überlegte kurz, ob sie vielleicht froh war, sich
die Scheidung von
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