Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rosen für eine Leiche (German Edition)

Rosen für eine Leiche (German Edition)

Titel: Rosen für eine Leiche (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannsdieter Loy
Vom Netzwerk:
Herrn Christnacht erspart zu haben.
    Der Raum hatte nur zwei schmale Fenster, eins neben mir, eins
gegenüber. Daher war es nur mäßig hell, wie bei magerem Mondlicht in der Nacht.
Scholl war sitzen geblieben, als sie die Frau hinausgeleitet hatten, und gab
seine Kommandos.
    Sie brachten den Augenzeugen, der beobachtet hatte, wie der Mann
erschossen wurde. Er hatte am Boden gesessen und Akkordeon gespielt und sich
sofort gemeldet, um auszusagen. Er war ziemlich massig, weder jung noch alt und
hatte ein mächtiges Kinn, das sich bis zum Genick erstreckte, sodass er beinahe
halslos aussah.
    »Genau«, sagte er, »genau. Der Flüchtige …«
    Ich war verblüfft. Der Akkordeonspieler sprach von dem Mörder und
sagte doch tatsächlich »Der Flüchtige«. Wie ein Polizist.
    »… hat einen Paradiesapfel vor sich hergehalten, wisst ihr, so
einen runden roten Süßkram an einem Holzstiel, und biss alle zwei Meter
hinein.«
    »Was hatte er an, der Mann? Wie alt, wie groß?«, warf Scholl ihm
entgegen.
    »Genau, kann ich dir sagen, genau.«
    Wenn der Akkordeonspieler sprach, schob er die Unterlippe vor, als
ob er schmollte.
    »Groß war der, sehr groß und dünn. Ein schmaler Schnurrbart auf der
Oberlippe, blond. Am Kopf war er schon angegraut. Stiftenkopf übrigens. Alter
Ende vierzig. Der hat eine blaue Hose angehabt, keine Jeans, weißt du, nur so
eine blaue Tuchhose, altmodisch. Mokassins, ziemlich abgelatscht. Ich hab ihn
ja von unten nach oben gesehen. Über der Hose ein Buschhemd, blau, mit gelben
Blumen. Nein, weißen Blumen. Dahlien vielleicht. Eine dicke, fette Tasche am
Gürtel, schwarz, ja schwarz. Also, dieser Mann rennt wie blöd im Zickzack durch
die Leute. Schmeißt sie zur Seite. Ellenbogenarbeit, weißt du? Und hat diesen
Paradiesapfel in der Hand. In der rechten, glaub ich. Und dann, ich sag’s euch,
dann kam’s.«
    Er schaute von mir zu Scholl und zurück.
    »Dann ist dieser andere Mann herangespurtet.« Mit seinem wuchtigen
Kinn zeigte er nach draußen.
    »Anscheinend der Vater von dem Buben. Er ist hinter dem Flüchtigen
hergesprintet und wollte seinem Jungen helfen. Er wollt sich den Apfel
schnappen, das hat man richtig gemerkt. Er streckte schon die Arme aus. Da
dreht sich der andere im Laufen um. Ich hab gar nicht gesehen, wo der die
Pistole so schnell herhatte, da hat er schon geschossen.«
    Das Kinn des Akkordeonspielers schob sich nach vorn, die Lippen
zogen sich zurück, und ich sah weiße, lange Zähne.
    »Einmal hat der nur geschossen. Dann ist er stehen geblieben.
Einmal. Genau. Mitten in die Stirn. Der Mann fiel ihm entgegen, und im Fallen
schlug der andere noch zu. Klopfte ihm die Pistole gegen den Kopf, seitlich,
verstehst du, genau, an die linke Seite. Als ob’s nicht schon genug gewesen
wäre. Am Boden hat er schon geblutet, ein tiefer Riss.«
    Er seufzte tief.
    »Ja, genau. Und dann hab ich aufgehört zu spielen, ich hab ja vorher
die ganze Zeit weitergespielt. Da hab ich einfach nichts mehr gesehen, da waren
nur mehr Beine, so viele Leute um mich herum.«
    »Und«, fragte Scholl, »der Täter ist ja dann geflüchtet. Haben Sie
gesehen, wohin er geflüchtet ist?«
    Der Mann verzog sein Gesicht zu einem Grinsen und produzierte
Lachfalten an den Augen.
    »Bist du schon mal mit einem sauschweren Akkordeon vom Boden
aufgestanden? Na, siehst du. Bis ich da hochgekrabbelt war, war der schon über
alle Berge.«
    Wenn sie stimmte, war das wohl die genaueste Personenbeschreibung
gewesen, die ich je von einem Augenzeugen gehört hatte. Auch Scholl war dieser
Meinung. Er nickte mir kurz zu. Das Duzen überging er.
    »Sie haben eine gute Beobachtungsgabe«, sagte er.
    »Ja mei«, sagte der Akkordeonist. Er war mühsam auf die Beine
gekommen. »Das Einzige, was ich wirklich kann. Akkordeon spielen und Menschen
beobachten. So verdiene ich mein Geld, weißt du.«
    Nachts ging mir viel durch den Kopf.
    Da war die Schilderung des Akkordeonspielers, die mich stutzig
machte. War es die Personenbeschreibung oder war es der Tathergang gewesen, der
eine Saite in mir zum Klingen brachte? In die Stirn geschossen. Auch die Tote
im Kahn hatte dieses grauenhafte Loch in der Stirn.
    Das Letzte, das ich wahrnahm, waren die sieben Schläge der
Kirchturmuhr. Ich wollte mich aus dem Bett wälzen, doch ich musste wohl noch
einmal eingeschlafen sein. Von Herrn Hubers lautstarkem Bellen wurde ich
endgültig geweckt.
    Ich schaute hinaus auf den gepflasterten Vorplatz. Es war hell. Frau
Steiner war im Taxi vorgefahren

Weitere Kostenlose Bücher