Rosendorfer muss dran glauben (German Edition)
immer noch mit Hobbe über dessen oder, besser gesagt, Moritz’ Geschichte fachsimpelt. Ohne zu fragen, zwängt sie sich auf dem Sofa zwischen die beiden Jungs, obwohl da eigentlich gar kein Platz ist. Wie zufällig legt Mignon ihre Hand auf Moritz’ Oberschenkel. Moritz steht … nein, er springt auf, als hätte er sich an einer heißen Herdplatte verbrannt.
»Wo willst du hin?«, fragt Pascal, während Mignon ihn nur verwundert anstarrt. So was ist ihr sicher noch nie passiert.
»Ich muss aufs Klo«, antwortet Moritz, obwohl das garantiert gelogen ist.
Er dreht sich um und drängelt sich durch den Laden zu den Toiletten durch. Die Geschäftsleitung hat darauf verzichtet, die Waschräume nach Geschlechtern zu trennen. Es ist eine Unisextoilette, und deswegen stehen hier Männer und Frauen nebeneinander vor dem wandfüllenden Spiegel und schminken sich. Beide. Meine Sache ist das nicht, aber ich bin auch nicht die klassische Zielgruppe des Number One.
Moritz geht in eine freie Kabine.
Das ist jetzt eine schwierige Situation für mich. Darf ich, oder darf ich nicht? Was Moritz nicht weiß, macht ihn nicht heiß, und deswegen lasse ich die Kamera in seinem Cordsakko auf Sendung.
Er muss nämlich gar nicht – das hatte ich schon vermutet –, sondern lässt sich einfach auf den Klositz fallen, um in Ruhe durchzuatmen. Ist schließlich auch nicht leicht, innerhalb eines Tages dank Hobbes Gnaden vom unbekannten Flugblattdichter zum angesagten Nachwuchsschriftsteller aufzusteigen.
Doch mit der Ruhe ist es schnell vorbei. Die Klos hier sind so hip, dass man sie nicht abschließen kann. Die Tür geht auf, und Mignon drängelt sich zu ihm in die Kabine.
»Du schreibst also auch für Hobbe?«, fragt sie, als ob sie das nicht schon längst wüsste.
»Wieso ›auch‹?«, fragt Moritz zurück und versucht, sie auf Abstand zu halten, was in der engen Kabine nahezu unmöglich ist.
»Er kommt häufiger mit so Typen, die bleiben eine Weile, dann verschwinden sie wieder. Ist nicht schade drum, war noch keiner so süß wie du.« Mignon drängt sich noch näher an Moritz.
»Was denn für Typen?«
»Du bist wirklich süß.« Mignon ignoriert seine Frage und beginnt, ihm das Hemd aufzuknöpfen. Nur mit Mühe kann Moritz ihre Hände festhalten.
»Danke, aber jetzt würde ich gern …« Moritz deutet auf das Klo, aber auch das scheint Mignon nicht zu beeindrucken.
»Mach nur, das stört mich nicht. Kann man mal was von dir lesen?«
»Nee, ist noch nichts veröffentlicht.«
»Du könntest mir auch was aus deinen Notizen vorlesen.«
»Ich mach das nicht so gern, wenn es noch nicht fertig ist.«
»Wir können den Teil mit dem Vorlesen auch ausfallen lassen und gleich zu mir gehen. Oder zu dir.«
»Sehr verlockend, echt. Aber ich muss morgen früh raus und heute Abend noch arbeiten und überhaupt … Ich hab eine Freundin«, schwindelt Moritz.
Mignon zuckt nur die Achseln. »Und?«
»Und außerdem muss ich jetzt ganz dringend aufs Klo.«
Mignon macht immer noch keine Anstalten, zu verschwinden.
»Allein!«
Moritz schiebt sie aus der Kabine und macht schnell die Tür hinter ihr zu. Dann lässt er sich erleichtert auf die Kloschlüssel fallen und stemmt sicherheitshalber den Fuß gegen die Tür.
Er bleibt noch etwa zehn Minuten dort sitzen, dann schleicht er sich aus dem Laden, ohne sich bei Hobbe, Pascal, Mignon oder Karelski zu verabschieden.
Ich stelle mein Wasser auf der Theke ab und mache es wie er. Obwohl, so mache ich es ja eigentlich immer.
Erst als Moritz draußen auf der Straße vor dem Klub steht, fällt ihm anscheinend ein, dass sein Roller noch im Regierungsviertel parkt. Moritz nimmt kein Taxi, das hätte mich auch gewundert. Er geht zu Fuß, und ich rolle langsam mit meinem Wagen außer Sichtweite hinter ihm her.
13 / 10 / 2015 – 01 : 45 Uhr
Irgendwann in dieser Nacht schafft er es dann doch noch nach Hause. Als Erstes kontrolliert er den Anrufbeantworter. Der ist leer, mal abgesehen von einer Nachricht von Hobbe, der wissen will, wo Moritz steckt. Das ist aber nicht der Anruf, auf den er gewartet hat.
Moritz lässt sich auf sein Bett fallen und macht den Fernseher an, in dem die Spätnachrichten eines Privatsenders laufen. Dann greift er zu seinem Handy und wählt Annes Nummer. Fehlanzeige, wieder springt nur die Mailbox an: »Leider bin ich derzeit nicht erreichbar. Nach dem Ton ist Platz für eine Nachricht. Danke.«
Den Text kann ich mittlerweile schon auswendig.
Im Fernsehen
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