Rosendorfer muss dran glauben (German Edition)
Uhr
Hier und jetzt ist von Moritz’ Verfolgern weit und breit nichts zu sehen. Ich stehe an der Auffahrt zu dem Krankenhaus, in dem Anne arbeitet. Moritz wartet direkt am Eingang darauf, dass Annes Schicht zu Ende ist und sie endlich Feierabend macht.
Abends wird es mittlerweile schon frisch. Moritz hat den Kragen seines Anzugs hochgeschlagen. Neben ihm hocken zwei alte Männer in ihren Rollstühlen und rauchen. Den beiden fehlt jeweils ein Bein, dem einen das rechte, dem anderen das linke, und da könnten sie sich eigentlich prima zusammentun. Aber wenn sie so weiterpaffen, sind sie ihre Restbeine auch bald los. Während Moritz wartet, kommt er mit den Männern ins Gespräch. Was man sich eben so erzählt, wenn man die Zeit totschlagen will. Das Wetter, Fußball, das Leben im Allgemeinen, der eine oder andere Witz.
»Ein Freund von einem Freund von mir ist Raucher und hat auch nur noch ein Bein«, erzählt Moritz. »Als er beim Arzt war, sagt der zu ihm: ›Wenn Sie nicht mit den Zigaretten aufhören, kriegen Sie noch ein Raucherbein.‹ Antwortet der Freund meines Freundes: ›Schön wär’s!‹«
Die zwei in dem Rollstuhl können nicht darüber lachen.
Ich schon.
»Arschloch!«, grunzt der eine, und »Das ist überhaupt nicht witzig!« der andere.
Moritz hört gar nicht hin, weil genau in diesem Augenblick Anne das Krankenhaus verlässt.
Sie wirkt überrascht, nicht unangenehm überrascht, sondern einfach nur erstaunt, dass Moritz am Eingang auf sie wartet.
»Du hier?! Was willst du?«, fragt Anne.
Eine warmherzige Begrüßung sieht anders aus, aber das kann ja noch werden.
»Bloß mal schauen, wie es dir geht«, antwortet Moritz, und dabei kaut er
nicht
an seiner Unterlippe. Ich sag ja, er hat sich verändert.
»Gut, mir geht es gut, sehr gut sogar«, erwidert Anne und reckt trotzig das Kinn in die Höhe, um ihre Aussage zu unterstreichen. Ich glaube ihr das trotzdem nicht. »Und jetzt sag schon, was willst du wirklich?«, fährt Anne fort.
»Es ist wegen meines Vaters. Der hat doch bald Geburtstag.«
»Moritz, ich habe keine Ahnung, was du ihm zu seinem Fünfundsechzigsten schenken kannst. Lass du dir was einfallen. Ich habe mich die letzten drei Jahre darum gekümmert.«
»Darum geht es doch gar nicht.« Moritz packt Anne am Arm, nicht grob, eher bittend, und sie lässt es geschehen.
»Nicht? Worum denn dann?«
»Er hatte einen Infarkt. Der Arzt hat ihm jede Aufregung … Du weißt ja selbst.« Moritz sieht jetzt wirklich besorgt aus, und seine Augen fangen an zu glitzern, als stünden sie voller Tränen. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde sogar ich auf ihn reinfallen.
»Oh, nein, wie schrecklich! Das tut mir so leid, Moritz. Wie geht es ihm?« Anne sieht ehrlich bestürzt aus und nimmt ihre Brille ab, um sich eine echte Träne aus den Augenwinkeln zu wischen.
»Nicht so gut. Mutter meint, es wäre besser, wenn du mitkämst zu seinem Geburtstag. Er mochte dich, das weißt du. Es würde ihm guttun, wenn er wüsste, dass du und ich noch …«
»Ich soll was?« Anne weicht instinktiv zwei Schritte zurück.
»Natürlich nicht richtig. Nur so tun, als ob«, schiebt Moritz schnell hinterher. Ein forschender Blick hat das Glitzern in seinen Augen abgelöst. Behutsam macht er zwei Schritte auf sie zu. »Der Arzt sagt, wir sollen ihm jede Aufregung ersparen.«
»Du hast dich doch sonst auch nie um deinen Vater gekümmert«, sagt Anne, aber das ist nur ein letztes Aufbäumen.
»Anne! Er wäre fast gestorben!« Moritz klingt richtig empört, und das ist beinahe schon unverschämt, finde ich.
»’tschuldige, war nicht so gemeint«, murmelt Anne, und so bedrückt, wie sie ihn dabei anblickt, bin ich sicher, dass sie mitfährt.
»Außerdem habt ihr doch diesen Eid, dass ihr den Menschen helfen müsst und so weiter. Mein Vater braucht jetzt jede Hilfe, da können wir zwei nicht nur an uns denken«, legt Moritz nach, und das finde ich persönlich ein bisschen dick aufgetragen.
»Das ist doch auch nur so eine alte Geschichte, den Eid schwört heute kein Mensch mehr«, erwidert Anne halbherzig.
»Bitte komm mit! Es würde ihm helfen.«
Anne schweigt und überlegt.
»Es würde auch mir helfen«, beharrt Moritz.
Anne zögert immer noch. Wahrscheinlich weiß sie es selbst noch nicht, aber sie hat bereits verloren.
»Warum sagt er das Ganze nicht einfach ab? In seinem Zustand, und dann so ein riesiger Geburtstag.«
»Du kennst doch meinen Vater. Bloß keine Schwäche zeigen.«
Anne guckt
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