Rosenfolter
Eigentumswohnungen, megateuer, superschick, in
bester Lage am Fluss. Nicht mein Ding, dachte Katinka. Das Haus in der Concordiastraße
wäre meins gewesen. Ein bisschen marode. Alt. Mit Geschichte, Narben und Persönlichkeit.
Kein Beton, sondern Mauern aus echten Steinen.
Sie nutzte eine
Lücke im Strom der Autos und rannte auf die andere Straßenseite hinüber. Gleich
hier in der Wohnsiedlung hatten früher die ERBA-Arbeiter gelebt. Fabrikbau hieß
die Adresse. Hier wohnte Özlems Mutter. Und Özlem war bei ihr gemeldet.
»Bin ich deshalb
hierhergelaufen?«, murmelte Katinka, während ihre Augen über die Klingelknöpfe glitten.
Viele türkische Namen. Canavar. Sie drückte zweimal.
Keine Reaktion.
Aber ein Mann mit seinem Enkel auf dem Arm kam raus und ließ Katinka durch die Tür
schlüpfen. Sie stieg langsam die Treppen hinauf. Im zweiten Stock stand ›Canavar‹
an der Tür. Sie klingelte wieder. Die Tür nebenan öffnete sich.
»Die sind ausgeflogen!«,
sagte eine junge Frau. Sie hielt Rollerblades in der Hand und schloss ihre Wohnung
ab.
Katinka stellte
ihren Rucksack ab. »Ich habe Özlems Notebook neu installiert. Wir hatten eigentlich
ausgemacht, dass ich es heute vorbeibringe«, schwindelte sie.
»Die Mutter ist
bei Hayat, glaub ich. Und Özlem habe ich ewig nicht mehr gesehen.« Die Nachbarin
turnte fröhlich die Treppen hinunter.
Katinka setzte
sich auf eine Stufe und wartete. Ihr Kopf brummte nach wie vor. Sie drückte eine
zweite Tablette aus dem Blister und zerkaute sie, während sie sich das Türschloss
besah. Es könnte gehen. Der Dietrich lag vertraut in ihrer Hand.
Sie brauchte keine
Minute. Hinter ihr fiel die Tür ins Schloss. Katinka war in Schweiß gebadet.
Die Wohnung, in
deren Dunkelheit sie eintauchte, war penibel aufgeräumt. Die Jalousien sperrten
das Licht aus. Durch die Lamellen drangen nur wenige Sonnenstrahlen. Staubkörnchen
tänzelten vor Katinkas Nase, als sie die Schuhe abstreifte und auf Socken über den
Teppichboden schlich. Heiß war es hier drin und stickig.
Drei Zimmer. Zwei
Schlafzimmer, eines davon sicher das der Mutter. Ein Ehebett, beide Betten bezogen.
Ein großer Schrank, Fotos auf den Wänden, die meisten in der Türkei aufgenommen.
Nichts lag herum: kein Buch, kein Kleidungsstück. Das zweite Schlafzimmer musste
Özlems sein. Auch hier perfekte Ordnung. Ein Computer, ein Drucker, ein Scanner,
ein externes Kartenlesegerät, ein Camcorder. Ein Regal mit ein paar Büchern über
Buchhaltung, ein Lehrbuch über Informatik, Broschüren und Zeitschriften. Katinka
streifte Handschuhe über. Der Kleiderschrank sah aus wie ihr eigener. Hauptsächlich
Jeans, Pullis, T-Shirts. Ein Fach enthielt teure Sportkleidung. Özlem hatte Schulden,
ein privates Insolvenzverfahren hinter sich. Waren ihr Gläubiger auf den Fersen?
Katinka lehnte ihren hämmernden Schädel gegen die Schranktür. Das konnte gut und
gern der Schlüssel sein! Özlem hatte Angst gekriegt, als sie von den abgeschnittenen
Körperteilen gehört hatte. Weil sie die Bestrafung kannte. Zwar hatten weder Kriwanek,
noch Bauer oder Yildirim Schulden. Max Walters auch nicht. Özlem konnte sich aber
trotzdem zusammengereimt haben, dass jemand seinen Schuldnern Böses wollte. Und
bei der Aussicht, vielleicht die Nächste zu sein, die ein Ohr oder eine Hand abgeben
musste, in Panik geraten sein.
Teure Computertechnik,
teure Sportklamotten. Im Wohnzimmerbüffet fand Katinka ein Porzellanservice von
Walküre. Auch nicht billig. Reichte das für einen Schuldenberg, der einen in die
Privatinsolvenz trieb?
Katinkas Handy
ging. Sie stöhnte auf. Schweiß rann ihr über den Rücken.
»Ja, Palfy?«
»Linda Roose. Frau
Palfy, wie wäre es mit einer schönen Tasse Kaffee?«
Himmelschimmel,
dachte Katinka. Wie kommt sie drauf, dass ich den Nachmittag mit ihr auf dem Sofa
verbringen möchte?
»Ich habe nämlich
schon etliche Fotos geschossen. Mit dem neuen Handy, meine ich. Sogar in die Sodenstraße
habe ich mich gewagt und die Doggen abgelichtet, wie sie ihre Schnauzen von innen
gegen den Zaun pressen!«
Katinka musste
lächeln. »Also haben Sie keine Angst mehr vor den Biestern?«
»Entscheidend ist
der Zaun zwischen uns. Kommen Sie vorbei?«
»Danke für die
Einladung, Frau Roose, aber ich schaffe es heute eher nicht. Ein neuer Auftrag.«
»Schade.« Sie klang
enttäuscht.
»Wie geht es Emma?«
»Emma ist mit ihrer
Tochter beschäftigt. Die ist gerade zu Besuch. Tja.«
Und jetzt sind
Sie einsam, fügte Katinka
Weitere Kostenlose Bücher