Rosengift - Die Arena-Thriller
Störfaktor zwischen die beiden drängen. Doch es sah ganz danach aus, als seien ihre Sorgen unbegründet, denn Nicole schienen solche Überlegungen fremd zu sein. Einmal hatte sie sogar zu Matilda gesagt, sie wäre ganz froh, dass Anna nun »jemanden zum Rumfiedeln« gefunden hätte. Nicole war ein offenherziger, leichtlebiger Charakter und knüpfte schnell Kontakte. Sie war nicht auf Annas Freundschaft angewiesen. Dennoch bemühte sich Matilda, Nicoles Großzügigkeit in Sachen Anna nicht übermäßig zu strapazieren.
»Nee, ist schon gut«, winkte Nicole ab. »Ich brauche sowieso noch ein bisschen Schönheitsschlaf, bevor es heute Abend wieder losgeht.«
Anna und Matilda begleiteten Nicole bis zum Gartentor. Sie verabredeten sich für acht Uhr bei Nicole. »Zum Vorglühen«, wie Nicole verkündete, wobei Matilda sich im Stillen schwor, heute Abend bestimmt keinen Tropfen Alkohol anzurühren. Nie mehr würde sie Alkohol trinken. Jedenfalls nicht so viel wie gestern.
Dann gingen Anna und Matilda nach oben in Matildas Zimmer. Wie erwartet war auch Anna ganz begeistert von der neuen Geige. »Mensch, du hast so ein Glück mit deiner Tante!«, erklärte sie und gestand: »Verdammt, ich bin echt neidisch! Damit stichst du alle aus! Darf ich mal darauf spielen?«
»Klar!« Matilda strahlte. Sie musste heute Abend unbedingt ihre Tante anrufen und sich bedanken! Anna hatte noch nicht den ersten Ton gespielt, da ertönte von draußen plötzlich ein lautes Rattern. Der Rasenmäher wurde angeworfen. Braver Miguel, dachte Matilda zufrieden und schaute aus dem Fenster.
»Das darf doch nicht wahr sein! Dieses stinkfaule Aas!«, rief sie im nächsten Moment. Jetzt war ihr auch klar, was Miguel vorhin mit der Aussage, er würde das schon regeln, gemeint hatte. Denn nicht er schob draußen im Garten den Rasenmäher, der blaue Rauchwolken ausspie, über das Gras, sondern Enzo, der Sohn von Angela. Als Kind hatte Enzo einen schweren Unfall gehabt, seitdem war er geistig leicht behindert und lebte bei seiner Mutter. Er hatte einen Halbtagsjob in einer Behindertenwerkstätte, in seiner Freizeit half er Tante Helen und anderen Leuten in der Nachbarschaft bei der gröberen Gartenarbeit. Er sprach wenig, meist in ganz einfachen Sätzen oder in einzelnen Worten. Wenn man ihm genau erklärte, was er tun sollte, dann führte er die Arbeit mit Akribie und Zähigkeit aus. Offensichtlich hatte Miguel, dieser Faulpelz, bei Angela angerufen und Enzo zum Rasenmähen »überredet«. Jetzt blickte Enzo vom Rasenmäher auf und winkte. Matilda winkte zurück. Dann schloss sie das Fenster. »Kerle!«, murmelte sie kopfschüttelnd.
Matilda und Anna spielten abwechselnd ein paar Stücke auf der neuen Geige, bis Anna sich schließlich verabschiedete. »Bis später, Süße«, grinste sie an der Haustür und ging zu Fuß davon. Sie wohnte nur eine U-Bahn-Haltestelle weiter stadtauswärts.
Zusammen mit Enzo war offenbar auch Angela vorbeigekommen, denn Matilda hörte, wie der Staubsauger durchs Wohnzimmer schnurrte. Sie lief zu Angela und bedankte sich noch einmal für die Geburtstagstorte.
»Ihr habt ja schon alles sauber gemacht!«, rief die kleine Sizilianerin. Es klang fast ein wenig enttäuscht. »Hast du Hunger, cara mia? Soll ich euch was kochen? Wo ist Miguel?«
Matilda beantwortete die ersten beiden Fragen mit »Nein« und die letzte mit »Ich weiß es nicht«. Schade. Sie hatte eigentlich Miguel ihre neue Geige zeigen wollen, auch wenn dieser von Instrumenten rein gar nichts verstand. Angelas Geflatter und Geschnatter war ihr im Moment ein bisschen zu viel, sie merkte schon, dass ihr Kopf wieder anfing zu schmerzen. Schnell schenkte Matilda sich ein Glas Cola ein und suchte nach einem Vorwand, um nach oben verschwinden zu können.
»Ja, leg dich hin, du bist ganz blass. War wohl ein bisschen viel gestern?« Angelas rundliches Gesicht wurde noch breiter, als sie verschwörerisch lächelte.
»Kann sein«, gab Matilda zu. In der Tür stieß sie beinahe mit einer riesigen Gestalt zusammen.
»Ah, Enzo. Du bist schon fertig im Garten? Was tust du denn hier?«, fragte seine Mutter, denn normalerweise kam der schüchterne Enzo nie unaufgefordert ins Haus.
Ihr Sohn blieb stehen und streckte Matilda seine rechte Pranke entgegen. Er war groß und so breit wie ein Kleiderschrank. Matilda fragte sich jedes Mal, wenn sie ihn neben Angela sah, wie eine so kleine Person einen so großen, kräftigen Sohn haben konnte. Sie musste sich vor fünfundzwanzig
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