Rosengift - Die Arena-Thriller
ihren Freunden – als »meine Freundin« bezeichnet. Und sich dann aufgeführt, als hätte sie überhaupt nichts zu sagen. Als könnte sie sich nicht selbst wehren, wenn sie es wollte. Matilda trat heftig in die Pedale, um die Wut loszuwerden, die schon wieder in ihr hochgekrochen war. Nein! Das durfte so nicht weitergehen!
Vor dem Haus von Tante Helen standen etliche Fahrräder, drei Autos parkten auf der Straße. Sie hielt Ausschau nach dem roten Twingo, mit dem Christopher beim letzten Mal weggefahren war. Gehörte der überhaupt ihm oder war es das Auto von dieser Lauren gewesen? Egal – der Wagen stand jedenfalls nicht in der Nähe. Matilda war enttäuscht. Sie schloss die Haustür auf. Schon im Flur schallte ihr das Getröte der Vuvuzelas entgegen, vermischt mit Gelächter und Geraschel. Dem Geräuschpegel nach waren viele Leute da. Sie warf einen Blick ins Wohnzimmer. Die Vorhänge waren geschlossen, damit die Sonne nicht ins Bild schien. Überall saßen und lagen Leute herum; auf dem Sofa, auf dem Sessel und auf dem Boden. Christopher war nicht dabei. Die Stimmung war gelöst, obwohl der Spielstand von 0 : 1 für die Serben eigentlich dagegen sprach. Eine Tüte machte die Runde, gerade gab Juliane sie an einen Jungen mit einem Ziegenbart weiter. Einige kicherten scheinbar ohne Grund vor sich hin.
Helen sah solche Dinge recht locker, Matilda hatte sogar einmal mitbekommen, wie ihre Tante mit Miguel und seinen Freunden zusammen einen Joint geraucht hatte. »Es ist nicht schädlicher als Alkohol, sofern man es nicht übertreibt«, lautete ihre Theorie dazu. Nur bei harten Drogen hörte auch bei Helen der Spaß auf . Wenn jetzt Oma Eleonore vorbeikäme, wäre der Teufel los, dachte Matilda und musste trotz ihrer Enttäuschung ein wenig grinsen.
Jetzt bemerkte Miguel seine Cousine. »Du schon hier?«
»Bier vier Euro!« Matilda tippte sich an die Stirn. Sie ging nach oben ins Bad, trank Wasser aus dem Hahn und wusch sich den Staub von Gesicht und Armen. Dann saß sie unschlüssig in ihrem Zimmer herum. Sie hatte keine Lust, hinunter zu Miguel und seinen Freunden zu gehen. Schließlich nahm sie ihre Geige aus dem Koffer und spielte Strawinskys Divertimento für Violine und Klavier. Sie hatte sich noch immer nicht entschieden, welches Stück sie beim Wettbewerb vorspielen sollte. Geschmeidig glitt der Bogen über die Saiten, nur an wenigen Stellen hakte es. Diese probte Matilda so lange, bis sie einigermaßen zufrieden war. Angeregt durch die Vuvuzelas, die selbst hier oben noch wie ein Hornissenschwarm klangen, versuchte sie sich anschließend an Rimski-Korsakows Hummelflug. Es klang eher kläglich. Bei mir wären die Hummeln längst abgestürzt, dachte Matilda, während sie sich durch das schwierige Stück quälte.
»Ich hab gehört, David Garrett spielt das in einer Minute runter«, sagte eine Stimme hinter ihr. Matilda fuhr herum. Christoper lehnte mit verschränkten Armen im Türrahmen und lächelte schief. Matildas Herz setzte eine Sekunde lang aus. Dann schlug es weiter – mit der doppelten Geschwindigkeit wie vorher.
»Genauer gesagt in 66,56 Sekunden.« Matilda legte die Geige weg. »Das sind 13 Noten pro Sekunde. Das schafft außer ihm kein Mensch.« Sie lächelte zurück. »Wie ist das Spiel ausgegangen?«
»Verloren. Podolski hat in der sechzigsten Minute ’nen Elfmeter verschossen, die Pfeife.« Christopher kam unaufgefordert ins Zimmer geschlendert.
Wie lange hatte er wohl schon dagestanden und ihren stümperhaften Bemühungen gelauscht?
Er betrachtete das CD-Regal, in dessen oberstem Fach fünf CDs von David Garrett standen.
»Ist er dein Vorbild?«
»Ich find ihn cool«, antwortete Matilda. »Wie er da mit löcherigen Jeans auf der Bühne steht und Michael Jackson spielt – das hat schon was.« Und außerdem sieht er verdammt gut aus, fügte sie in Gedanken hinzu.
»Und was ist mit André Rieu? Der ist doch auch nicht schlecht, oder?«
Matilda verzog das Gesicht. »Das ist nicht dein Ernst, oder? Ich meine, er kann gut spielen – aber was er spielt und vor allem, wie er das macht – das ist echt gruselig!« Sie schüttelte sich.
»Findest du?« Christopher grinste vergnügt, ihm schien zu gefallen, wie ambitioniert Matilda plötzlich war. »War ja auch nur ein Witz«, erklärte er. Matilda lachte erleichtert.
»Bist du eben erst gekommen?«, fragte sie.
Er nickte und Matilda hätte zu gern gefragt, ob er alleine hier war oder in Begleitung von Lauren, aber sie traute sich
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