Rosengift - Die Arena-Thriller
schlechte Idee. Aber nicht jetzt, mitten in der Nacht. Sie legte sich wieder hin und zog die Decke bis zum Kinn hoch. Sie würde ihren Cousin morgen einweihen und ihn bitten, die Augen offen zu halten, falls Patrick wieder nachts ums Haus schlich, um Rosen, Brötchen, tote Vögel oder weiß der Teufel, was ihm sonst noch einfiel, zu hinterlegen. Oder sollte sie doch erst noch einmal Klartext mit Patrick reden, wie sie es ja heute eigentlich vorgehabt hatte? Matilda merkte, wie sich ihre Gedanken im Kreis drehten, sinnlos und ergebnislos, wie in einer Endlosschleife. Sosehr sie sich auch bemühte, das alles von sich zu schieben und nur noch an angenehme Dinge zu denken – zum Beispiel an ihr zurückliegendes Rendezvous mit Christopher –, es gelang ihr nicht.
Dreimal stand sie in dieser Nacht noch auf und leuchtete mit der Taschenlampe in den Garten hinunter. Beim dritten Mal konnte sie sich die Lampe sparen, denn Blitze erhellten die Umgebung öfter, als ihr lieb war. Der Wind zerrte an den Baumkronen, die ersten schweren Regentropfen zerplatzten auf der Terrasse und wenig später goss es wie aus Eimern. Dazu krachte der Donner. Sie musste daran denken, wie sie früher, als kleines Kind, bei einem Unwetter ins Schlafzimmer ihrer Eltern gelaufen war und den Rest der Nacht wunderbar geborgen zwischen ihnen liegend verbracht hatte. Da konnte es draußen krachen und blitzen, wie es wollte. Später, als sie älter gewesen war, hatte sie das natürlich nicht mehr gemacht, aber dennoch war es beruhigend gewesen zu wissen, dass jemand da war, zu dem sie im Notfall gehen konnte. Im Grunde fürchtete sich Matilda nicht übermäßig vor Gewittern. Früher hatte sie oft mit ihrem Vater zusammen am Fenster gestanden und das Toben der Elemente beobachtet. Sie hatten die Sekunden zwischen Blitz und Donner gezählt und ausgerechnet, wie weit das Unwetter noch entfernt war. Dazu benoteten sie die Blitze und die Donnerschläge von eins bis zehn und obendrein gab es eine Gesamtnote für das komplette Naturschauspiel: Dabei zählten sowohl Stärke und Häufigkeit von Blitz und Donner als auch die Heftigkeit des dazugehörigen Windes und wie viel Regen oder gar Hagel dabei herunterkam. Einem Blitz der Note neun war eines Nachts der alte Kirschbaum im Nachbargarten zum Opfer gefallen. Die Zehn war für Kugelblitze reserviert, aber einen solchen hatten sie nie erlebt.
Aber nun, wo sie allein am Fenster stand und den tosenden Elementen zusah, fühlte Matilda sich so verlassen wie nie seit dem Tod ihrer Eltern. Wenn doch Helen hier wäre, dachte sie voller Verzweiflung und merkte, wie ihr die Tränen übers Gesicht liefen. Nicht einmal das Geigespielen würde heute etwas nützen, das wusste sie genau. Plötzlich ging das Licht ihrer Schreibtischlampe aus. Matilda stolperte zur Tür. Auch der Flur war dunkel und aus dem Wohnzimmer fiel ebenfalls kein Licht in den unteren Flur. Stromausfall. Sie tastete sich zurück ans Fenster. Die Straßenlaterne war an. Das Nachbarhaus und die Häuser auf der anderen Seite der Straße lagen in völliger Dunkelheit da, aber das hatte um diese Uhrzeit nichts zu sagen. Hatte ihr Haus eigentlich einen Blitzableiter? Wahrscheinlich nicht.
Sie schaltete die Taschenlampe ein, die griffbereit auf dem Nachttisch lag. Ob sie hinuntergehen sollte, in den Keller, um zu sehen, ob die Sicherung herausgesprungen war? Aber schon der Gedanke an den Gang durch das dunkle Haus in den noch dunkleren Keller, noch dazu bei diesem Gewitter, trieb ihr den Angstschweiß auf die Stirn. Nein, sie würde hierbleiben. Um nichts in der Welt würde sie bis zur Morgendämmerung dieses Zimmer verlassen! Entweder das Licht ging von selbst wieder an oder sie würde morgen früh nach der Sicherung sehen. Um Batterie zu sparen, machte sie die Taschenlampe aus und zündete eine Kerze an, die sie auf den Nachttisch stellte. »Ist ja direkt romantisch«, murmelte sie vor sich hin. Mit angezogenen Beinen setzte sie sich zurück ins Bett, die Decke trotz der Wärme bis ans Kinn hochgezogen. Von irgendwoher zog es und die Flamme warf unruhige Schatten an die Wand. Ein Blitz zerriss den Himmel, fast augenblicklich rollte der Donner. Ganz ruhig. Matilda war bei dem krachenden Donnerschlag unwillkürlich zusammengezuckt. Es ist ein Gewitter und ein Stromausfall, nichts weiter. Das ist nichts Ungewöhnliches. Und du bist kein kleines Kind mehr!
Ihr Handy klingelte. Matilda erschrak so sehr, dass sie spüren konnte, wie ihr Herzschlag ins Stolpern
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