Rosenherz-berbKopie
ist?»
«Hinterlassenschaft?»
Der Buchhändler verzog den Mund. «Die Wohnung war ein einziger
Dreckstall, völlig verwahrlost. Die Frau hatte offensichtlich
keine Angehörigen, jedenfalls haben wir niemanden ausfindig
machen können. Na ja, sie war wirklich eine arme Haut. Wir haben
einen großen Container bestellt und das ganze Gerumpel
abtransportieren lassen. Das ist es, was von einem Leben übrigbleibt:
ein Container voller Müll, der irgendwo verbrannt wird.
Grauenhaft, oder?»
Marthaler
nickte. «Und Hannelore Wilke? Sagt Ihnen dieser Name etwas? Sie
scheint eine Freundin von Frau Hielscher gewesen zu sein.»
Der
Buchhändler schüttelte den Kopf. Er sah in Marthalers
enttäuschtes Gesicht.
«Tut
mir leid», sagte er. «Das war wohl alles nicht das, was Sie hören
wollten?»
«Nein»,
sagte Marthaler, «aber der Tag hat schon so angefangen. Warum
sollte er anders enden?»
Am
nächsten Morgen klingelte um sechs Uhr der Wecker, und Marthaler war
sofort wach. Er stand auf, ging in die Küche, bereitete ein Müsli
zu, brühte sich seinen doppelten Espresso und setzte sich an
den Tisch.
Als
er in der Nacht nach Hause gekommen war, hatte er das Band des
Anrufbeantworters abgehört. Dr. Schaper teilte ihm mit, dass er
heute am späteren Vormittag in der Klinik erwartet werde. Vorher
wollte er eine Runde laufen und ein paar Einkäufe erledigen. Vor
allem aber wollte er noch mit Anna sprechen. Er hoffte, dass sie sich
inzwischen beruhigt hatte und bereit war, weiter mit ihm
zusammenzuarbeiten.
Er
zog das Trikot und seine kurze Laufhose an, schlüpfte in die
Sportschuhe und zog die Tür hinter sich ins Schloss. Er wusste, dass
seine Form nicht gut war, also zwang er sich, langsam zu laufen. Er
bog nach links in den Sachsenhäuser Landwehrweg, überquerte die
Darmstädter Landstraße, passierte die lange Mauer des Südfriedhofs
und lief weiter geradeaus durch das Wohngebiet. Nach gut einer
Viertelstunde hatte er den Goetheturm erreicht. Er war außer
Puste und hatte Seitenstechen. Er machte eine Pause, stemmte die Arme
in die Hüften, ließ den Rumpf kreisen und schaute dabei zur Spitze
des hölzernen Turms. Vor einigen Jahren hatte sich, während er und
sein Team hier unten standen, ein junger Mann von der
Aussichtsplattform gestürzt. Bis heute schreckte Marthaler manchmal
nachts auf, weil er glaubte, wieder das Geräusch gehört zu haben,
mit dem der Körper zwischen den Koniferen aufgeschlagen war.
Langsam
trottete er weiter in den Wald hinein. Eine Gruppe schnellerer
Läufer überholte ihn. An ihren Trikots erkannte er, dass sie
zu einem Verein gehörten. Zwei Mountainbiker fuhren mit hoher
Geschwindigkeit und viel zu dicht an ihm vorbei. Er unterdrückte den
Wunsch, ihnen einen Fluch hinterherzuschicken.
Am
Oberräder Waldfriedhof machte er eine weitere Pause. Als er sich ein
wenig erholt hatte, kehrte er um und lief denselben Weg zurück.
Vor der Haustür im Großen Hasenpfad schaute er auf die Uhr. Alles
in allem war er eine gute Stunde unterwegs gewesen. Er war auf
angenehme Weise erhitzt. Seine Lungen hatten sich geweitet. Trotz
seiner Erschöpfung fühlte er sich frisch.
Nachdem
er zehn Minuten geduscht hatte, stellte er das Wasser ab. Er
nahm ein frisches Handtuch aus dem Schrank und begann, seine Haare zu
frottieren.
Plötzlich
hielt er inne. Er hatte ein Geräusch gehört, das er nicht
einzuordnen wusste. Es hörte sich an, als gehe jemand leise in der
Wohnung auf und ab.
Reglos
stand Marthaler in der Mitte des Badezimmers und lauschte.
Für
einen Moment war alles ruhig. Dann nahm er das Geräusch von
Neuem wahr. Schritte, ein Stuhl wurde gerückt, wieder Schritte, dann
Stille.
Langsam
bewegte er sich in Richtung Badezimmertür. Seine nassen Füße
hinterließen kleine Pfützen auf den Fliesen. Vorsichtig drückte er
die Klinke nach unten. Lautlos öffnete er die Tür einen winzigen
Spalt.
Die
Schritte kamen aus seiner Küche. Jemand füllte Flüssigkeit in
ein Glas, dann hörte man den Stuhl knarren.
Nackt
wie er war, kniete Marthaler sich auf den Boden. Seine Dienstwaffe
befand sich im Holster, das er gestern Abend unter sein Jackett an
die Flurgarderobe gehängt hatte. Er öffnete die Tür ein Stück
weiter und krabbelte wie ein Kleinkind langsam auf allen vieren in
die Diele.
Er
wagte kaum zu atmen. Schließlich hatte er den Fuß der Garderobe
erreicht. Er richtete seinen Oberkörper auf.
«Robert,
was ist los mit dir? Bist du das nackte Kurtchen mit
Weitere Kostenlose Bücher