Rosenherz-berbKopie
Briefe
geschrieben? Gibt es Notizen von ihr? Hatte sie ein Adressbuch? Oder
hat sie vielleicht sogar Tagebuch geschrieben? Gibt es noch
irgendwelche persönlichen Unterlagen, die ich mir ansehen dürfte?»
Katja
Wilke hatte ihre Tasse auf den Boden gestellt und war aufgestanden.
«Viel ist es nicht», sagte sie. «Aber es gibt noch ein paar
Sachen. Kommen Sie mit!»
Anna
folgte der Frau ins Innere des Hauses. Katja Wilke holte aus der
Schublade eines kleinen Büffets eine Taschenlampe und schaltete
sie ein. Sie gingen durch den dunklen Flur und stiegen über eine
steile Treppe hinab in den Keller. Der Raum war eng und niedrig.
Sofort wurde es Anna unbehaglich. Sie merkte, wie ihre Hände
kalt und feucht wurden. Schnell rief sie sich ein paar ihrer
Entspannungsübungen ins Gedächtnis. Während Katja Wilke sich an
einem alten Büroschreibtisch zu schaffen machte, blieb Anna an
der offenen Tür des Kellerraums stehen.
Katja
Wilke kam zu ihr und reichte ihr einen zerdrückten Karton, der mit
einer Kordel verschnürt war. «Hier», sagte sie, «da ist alles
drin. Sie können es mitnehmen, wenn Sie wollen.»
Als
sie wieder im Freien waren, stopfte Anna den Karton in ihren
Rucksack. Dann bedankte sie sich: «Ich bringe Ihnen die Sachen
zurück, sobald ich sie durchgesehen habe.»
«Nicht
nötig», sagte Katja Wilke und tippte sich unter die linke Brust.
«Meine Mutter lebt hier; nicht in diesem alten Plunder.»
Anna
verabschiedete sich. Nach ein paar Schritten drehte sie sich noch
einmal um. Stefan stand wieder neben seiner Mutter. Beide schauten
ihr nach.
Katja
Wilke machte eine Handbewegung: «Auch wenn es hier schrecklich
aussieht... ich habe es geschafft.»
«Was
haben Sie geschafft?», fragte Anna.
«Ich
habe es geschafft, nicht dasselbe tun zu müssen wie meine Mutter.»
Anna
überquerte den Parkplatz des Hotels. Der Kellner, der sie am ersten
Tag bedient hatte, stand vor dem Eingang und rauchte. Als sie an ihm
vorbeikam, zwinkerte sie ihm zu.
Sie
stieg aus dem Sattel und schob ihr Rad durch das Tor des Sandelmühlen
Camps. Am
Fenster der Rezeption hing ein großes Schild mit der Aufschrift: Belegt!
Die
Tür der Rezeption wurde geöffnet, ein kleiner fetter Mann kam
heraus und lief schnaufend auf sie zu.
«He,
Sie da!», rief er.
Anna
blieb stehen. «So heiße ich nicht!», sagte sie.
Der
Mann baute sich vor ihr auf. Er schwitzte. Das zerknitterte Hemd
hing ihm an einer Seite aus der Hose. Er zog einen Kamm aus der
Tasche und verteilte sein spärliches Haar über der glänzenden
Kopfhaut. Er sah aus wie Heinz Erhardt, nur nicht so lustig.
«Egal,
wie Sie heißen, Sie müssen den Platz räumen.»
Anna
sah ihn schweigend an.
«Da
gibt es nichts zu grinsen», sagte er. «Sie müssen den Platz
räumen.»
«Ich
habe Sie verstanden», sagte Anna. «Außerdem habe ich nicht
gegrinst, sondern gelächelt. Ich bemühe mich, ein freundlicher
Mensch zu sein. Sogar, wenn ich Leute wie Sie vor mir habe.»
«Jedenfalls
müssen Sie weg!»
«Ich
habe reserviert und bezahlt», sagte Anna. «Und ich werde noch
bleiben.»
«Ihre
Zeit ist um», sagte der Dicke. «Sie haben nur für drei Tage
bezahlt.»
«Ich
verlängere», sagte Anna. «Das Geld kann ich Ihnen sofort geben.»
«Das
geht nicht. Wir haben Voranmeldungen. Wir brauchen jeden Platz.
Es ist mein Auftrag, Ihnen zu sagen, dass Sie Ihr Zelt abbauen
müssen.»
«Und
wer hat Ihnen diesen Auftrag erteilt?»
Der
Mann wedelte mit seiner rechten Hand durch die Luft. Dann wischte er
sich nervös über die Stirn. «Die Chefin, wer denn sonst?»
«Dann
möchte ich bitte mit Ihrer Chefin sprechen», erwiderte Anna.
«Das
geht nicht.»
«Doch,
ich glaube schon, dass das geht. Und ich werde ihr sagen, dass ich
Sie gestern zum zweiten Mal dabei beobachtet habe, wie Sie durch die
Waschräume der Damen geschlichen sind. Sie scheinen immer dann dort
etwas Dringendes zu tun zu haben, wenn ein paar Mädchen zum Duschen
gehen.»
Der
Mann pumpte. Schnaufend kam er einen Schritt auf sie zu. Sein Gesicht
war gerötet: «Das ist eine Lüge», krähte er. «Sie sind eine
gottverdammte Lügnerin. Und ich werde ...»
Anna
blieb ruhig. Sie trat einen Schritt zurück. «Sie werden gar
nichts», sagte sie. «Weil ich die Wahrheit sage. Und weil ich Sie
dabei fotografiert habe.»
Der
Dicke schaute sie entgeistert an. Er wurde bleich. Plötzlich wirkte
sein Gesicht wie ein Ballon, aus dem alle Luft entwichen war.
«Sie
haben ...?», fragte er kaum hörbar.
Anna
hatte gelogen.
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