Rosenmörder (German Edition)
sterilen Atmosphäre einer Klinik befragt wird oder
ob man zur Zeit der Beobachtung in heller Aufregung und Todesangst schwebt. Der
maskierte Mann im Trachtenanzug war lautlos zur Tür hereingekommen. Ich musste
mit ansehen, wie er ohne jede Regung Kemal erschoss und sich dann mir zuwandte.
Haarfarbe? Der Typ hatte einen Hut auf. Einen grünen Hut. Schuhgröße? Ja, er
trug Stiefel mit langem Schaft. Nein, kein langer Schaft. Die Schuhe waren
höchstens knöchelhoch, und er trug weiße Strümpfe.
Fühlst du dich in der Lage, an einem Phantombild
mitzuarbeiten?, fragt Ottakring.
Der Kollege mit dem Laptop und der
Spezialsoftware wartet bereits vor der Tür.
Heraus kommt ein etwas mehr als mittelgroßer
Mann, der einen edelweißfarbenen Janker zu einer abgewetzten ledernen
Kniebundhose trägt. An der Hose helle Stickereien.
Dich kann man brauchen, sagt Ottakring und
streicht mir übers Haar. Du hattest immer schon eine Wahrnehmung wie eine
Präzisionskamera. Er hält mir den Ausdruck des fertigen Bilds vor die Nase. Das
ist freilich kein Trachtenanzug, sagt er. Und auch kein Trachtler. Das ist
eindeutig ein Gebirgsschütz!
Die Tradition der bayerischen Gebirgsschützen,
hab ich später gelernt, stammt schon aus dem Mittelalter. Sie sind in Kompanien
gegliedert, und jede Kompanie besitzt eine eigene Montur. Die auf dem
Phantombild ähnelt am ehesten der Aschbacher Kompanie. Grauer Janker,
Kniebundhose, weiße Strümpfe, grüner Hut. Jene Gebirgsschützen also, die am
Hochzeitstag den Vorbeimarsch machten.
Jeder von ihnen hätte es sein können. Sie sind
Bauern, Handwerker, ein Anwalt, Soldaten, der einzige Steuerberater am Ort,
Beamte. Auch Wildschitz war dabei. Doch warum sollte einer von ihnen einen
Anschlag auf zwei Polizisten verüben?
Ottakring ließ sich die Fotos der dreizehn Männer
zeigen, die an dem Vorbeimarsch bei seiner eigenen Hochzeit teilgenommen
hatten. Wenn ich nicht irre, verhörte er sie alle selbst. Er ging in Aschbach
von Haus zu Haus.
Bei Rothäuser, dem Hauptmann der Schützen, blieb
er am längsten. Rothäuser, ein pensionierter Stabsfeldwebel des Heeres, war es
gewohnt, knapp und präzise zu antworten.
Waren Ihre Männer immer zusammen, solange Sie
sich im Aschbacher Hof aufgehalten haben?, fragte Ottakring. Wäre es möglich,
dass einer von ihnen sich für fünf Minuten entfernt hat? Haben Sie etwas
bemerkt?
Nein, das hätte er merken müssen. Rothäuser war
sich absolut sicher, dass keiner seiner Männer abhandengekommen war, auch nicht
für kurze Zeit. Er schien seine Truppe im Griff zu haben. Auch die Frage nach
der Tatwaffe konnte er eindeutig klären. Die Gebirgsschützen verwendeten einen
historischen Karabiner 98. Der mache ein merkwürdig puffendes Geräusch,
wie wenn jemand in ein leeres Glas hustet, sagte er. Er hatte dabei gelacht.
Der Täter jedoch hatte mit einer Neun-Millimeter-Parabellum geschossen. Ein
trockener, kurzer Knall. Das kann ich bestätigen. Ob es sich dabei um eine
Pistole der Marke Luger gehandelt hat, eine Beretta, eine Tanfoglio mit
Holzgriff oder gar um eine Jarygin mit Makarov-Munition aus dem Bestand der
Roten Armee, ist unbestimmt.
Anderes Thema. Wissen Sie, ob einer der Herren im
Clinch mit Bürgermeister Engel lag? Herr Wildschitz vielleicht?
Rothäuser hatte gelacht. Meinen Sie, der Andi hat
den Alois umgebracht, damit er als Bürgermeister nachrücken kann? Naa, gwieß
net. Der Andi ist einer unserer Eifrigsten. Der hätte im Prinzip gar keine Zeit
gehabt, das Amt auszufüllen. Aber jetzt muss er’s ja. Gezwungenermaßen.
Schon bevor er das Phantombild anfertigen ließ,
hat Ottakring auch mir die Fotos der Aschbacher Gebirgsschützen gezeigt. Ich
hab sie in zwei Schüben betrachtet, nach der Hälfte musste ich eine Pause
einlegen. Jeden einzelnen der dreizehn Männer hab ich mir genau angesehen, aber
Kemals Mörder war nicht darunter, da bin ich mir absolut sicher. Ich hab ein
Gefühl für eine Visage, selbst wenn eine Maske davor ist.
Er hat sich verändert, der Ottakring. Die
Ereignisse bei seiner Hochzeit, die weitere Mordserie, Lolas Zustand, der tote
Hund – das alles belastet den alten Recken. Er jagt den brutalen Mörder
dreier Menschen, und ich selbst wurde schwer verletzt. Das alles hat ihn nicht
kalt gelassen. Am meisten von allem aber hat ihn Herrn Hubers Tod getroffen, da
bin ich mir sicher. Er verliert kein Wort darüber. Als ich ihn frage, ob denn
niemand beobachtet habe, wie der Hund von Fremden gefüttert wurde, legt
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