Rosenrot ist mausetot - Kriminalroman
höchstens ein Jahr alt war, diese Doppeltoranlage inspiriert haben, die eindeutig schon vor vielen Jahren angelegt worden war? Fragen über Fragen, die keine Antwort fanden. Wir beschlossen, unsere Tarnung glaubwürdiger zu spielen und zu beginnen, die verhagelten Pflanzen wegzuräumen. Adelina machte sich mit den mitgebrachten Schneid- und Grabwerkzeugen an die Arbeit. Ich machte mich auf die Suche nach einer Karrette, mit der wir das Zeug abtransportieren konnten.
Offenbar hatte ich nicht gut genug zugehört, als mir der zuständige Gärtner bei Spross erklärte, wo der einschlägige Schuppen zu finden sei. Jedenfalls hatte ich bald das mulmige Gefühl, mich verirrt zu haben. In diesem Teil der Gartenanlage war ich definitiv noch nicht gewesen. Mannshohe, wie ein Labyrinth angeordnete Hecken erschwerten die Orientierung.
Schon wieder hatte ich das Gefühl, leise sein zu müssen. Ich vermied die gekiesten Wege und hielt mich an die Rasenflächen. Erst als sich die Hecken vor mir zu einer schmalen Öffnung schlossen, die gerade mal Platz für den Kiesweg bot, musste ich zwangsläufig diesen wählen. Vorsichtig trat ich auf, und ebenso vorsichtig spähte ich in den Raum hinter der Heckenöffnung.
Es handelte sich um ein ebenfalls von blickdichten Hecken eingeschlossenes Grundstück von der Grösse eines ordentlichen Wohnzimmers, bewachsen mit einer der schönsten Mischungen von sommerlichen Blumen, die ich je gesehen habe. In der Mitte lag etwas erhöht eine Plattform aus edelstem Tropenholz, zu der eine bequeme Treppe hinaufführte. Auf der Plattform stand ein sehr eleganter Liegestuhl, und darin lag eine ein Buch lesende Dame in einem ebenfalls sehr eleganten Sommerkleid.
Ich wollte mich still und heimlich zurückziehen, doch es war schon zu spät. Die Dame hatte mich entdeckt. Sie setzte sich auf, wandte sich mir zu und fragte barsch, was ich hier zu suchen hätte. Ich erzählte ihr, ziemlich stockend, wie ich selbst fand, unsere Tarngeschichte. Zum Glück war der Teil mit der Karretten-Suche echt, ich weiss nicht, ob mir vor lauter Schreck rechtzeitig eine überzeugende Lüge eingefallen wäre.
Die Dame, die offenbar keinen Grund sah, sich vorzustellen, war ungefähr fünfzig Jahre alt, aber von der Natur und der Schönheitschirurgie bestens erhalten. Ihr perfekt gewelltes Haar war von einem hellen, fast weisslichen Blond, an dessen Echtheit zu zweifeln ich keinen Anlass sah. Ich konnte mir vorstellen, dass ihr Gesicht schön war, wenn sie lächelte. Jetzt tat sie das nicht. Ihr Blick war eiskalt, als sie mir die Richtung zeigte, in welcher der Karretten-Schuppen lag, und sich weitere Störungen eindringlich verbat.
Die unverhoffte Begegnung mit der Hausherrin, um die es sich ohne Zweifel handeln musste, hatte an meinem Nervenkostüm geknabbert. Mit weichen Knien schritt ich in die angegebene Richtung. Immerhin hatte sie meine Tarngeschichte anscheinend geschluckt. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn sie Verdacht geschöpft hätte. Unbefugtes Eindringen in fremdes Territorium wäre noch der mildeste Vorwurf gewesen.
Da sich der gesuchte Schuppen laut der Erklärungen von Frau Raggenbass am ihrer privaten Leseecke entgegengesetzten Ende der Gartenanlage befand, führte mein Weg dahin zwangsläufig am in der Mitte liegenden Haus vorbei. Ich weiss nicht mehr, ob ich wirklich einfach den Bachteich von oben bestaunen wollte oder hoffte, etwas Brauchbares erspähen zu können. Jedenfalls fand ich mich auf der ausgedehnten Terrasse vor der Villa und oberhalb des Teichs wieder.
Die Glasflächen der Terrassentüren spiegelten die umgebende Landschaft und mich, erlaubten jedoch keinen Durchblick. Ich zückte meine Kamera, trat so nahe wie möglich an die Glasscheiben heran und äugte vorsichtig hinein, als eine mir erst seit Kurzem bekannte Stimme hinter meinem Rücken befahl, mich ganz langsam umzudrehen.
Ich tat, wie mir befohlen, und erlebte etwas, was mir in meinem ganzen bisherigen Leben noch nie passiert war: Ich blickte in die Mündung einer Pistole. Von vorne.
Die Heldin
Bäume sind Gedichte,
die die Erde
in den Himmel schreibt.
Khalil Gibran
Hatte der Blick von Frau Raggenbass schon bei unserer ersten Begegnung der Kälte eines Kühlfachs geglichen, so näherte sich dessen Temperatur jetzt dem absoluten Nullpunkt. Diese eisigen, zu allem entschlossenen Augen konnten den stärksten Mann umhauen, zumal dann, wenn die Botschaft von einer kühl glänzenden Pistole unterstrichen wird. Und ich
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