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Rosenrot, rosentot

Rosenrot, rosentot

Titel: Rosenrot, rosentot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Arsenault
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sein eigener Sohn in einen Unfall verwickelt war, der einen anderen Jugendlichen für den Rest seines Lebens in den Rollstuhl gebracht hatte, und nichts zu sagen?
    Wieder klingelte Charlottes Handy.
    »Jetzt gehe ich ran«, verkündete sie. »Hol du die Marshmallows.«
    Als ich im Gebäckgang von »Stop & Shop« stand und Graham Cracker suchte, fiel mir ein, dass Charlotte mich mit S’mores bekannt gemacht hatte. Wir waren ungefähr neun, und sie war gerade von einem Campingurlaub mit ihrer Familie zurück. Sie hatten noch alle Zutaten dafür, und Charlotte überredete ihren Dad, uns Marshmallows im Ofen rösten zu lassen – jede nur einen. Ich erinnerte mich daran, wie er gelacht hatte, als er die zwei braunen Fluffkugeln aus dem Ofen zog, die in der großen Bräterform, in die Charlotte sie gelegt hatte, sehr klein wirkten. Und Charlotte hatte mir mit Begeisterung dabei zugesehen, wie ich meinen S’more aß – zuzusehen, wie ich meinen aß, hatte sie noch mehr genossen, als ihren eigenen zu essen. »Ich GLAUBE gar nicht, dass du das noch nie gegessen hast!«, hatte sie immer und immer wieder voller Stolz gesagt. Und nun wollte ich kaum glauben, dass das alles in derselben Küche stattgefunden hatte, in der wir gleich wieder sitzen würden. Mir kam es vor, als hätte sich jener Nachmittag in der Vergangenheit dreier anderer Menschen ereignet, in einer anderen Dimension.
    Ich bezahlte die Marshmallows, die Graham Cracker und die anderen Süßigkeiten und ging wieder hinaus zu Charlottes Saturn.
    »Weißt du noch, wie wir S’mores in deinem Ofen gemacht haben?«, fragte ich, während ich nach meinem Sitzgurt griff.
    Charlotte wirkte abwesend und gleichgültig. »Es gibt eine Planänderung«, murmelte sie.
    »Hmm?«
    »Meine Mutter. Sie bleibt in New Jersey. Vorläufig.«
    »Und was ist mit der Grillparty?«
    Charlotte zuckte mit den Schultern. »Sie lässt ausrichten, dass es ihr leidtut. Angeblich will ihre Schwester, dass sie länger bleibt und sich das blöde Theaterstück von meinem Cousin anguckt. Aber ich vermute, dass sie einfach nicht nach Hause kommen will. Wahrscheinlich weiß sie von Paul, davon, was momentan los ist. Und manchmal erträgt sie ihn schlichtweg nicht, wenn er so ist wie jetzt. Dann darf ich mich um ihn kümmern.«
    »Wie schade«, sagte ich, womit die Gartenparty gemeint war.
    »Viel verpasst du eh nicht. Du hättest meiner Mutter zugucken dürfen, wie sie einen halben Burger isst und dann auf ihrem Gartenstuhl einnickt.«
    »Trotzdem wäre es schön gewesen, sie zu sehen«, meinte ich unsicher.
    »Ja, na ja. Sie kann ziemlich unsensibel sein. Aber vielleicht bin ich auch unfair. Vielleicht will sie ja wirklich ganz dringend eine Laienaufführung von Brigadoon sehen.«
    Das letzte Stück bis zu ihrem Haus blieb Charlotte stumm. Während sie fuhr, dachte ich an Brians Brief. Die Wahrheit über den Unfall war erschütternd, erst recht wenn man bedachte, dass Charlottes Vater von allem gewusst hatte und – das war das Verstörendste – dass Rose sich irgendwann hingesetzt und alles aufgeschrieben hatte. Ein Detail störte mich besonders, als ich die Informationen im Geiste noch einmal durchging: Datsun gegen Dodge, eine Schrottkiste gegen eine andere ... Beim ersten Lesen hatte ich mir nicht viel dabei gedacht, aber nun fiel es mir wieder ein.
    Als wir bei Charlotte ankamen, warf sie ihre Tasche in die Küche und zog sich dann in ihr Zimmer zurück. Ich folgte ihr, blieb aber an der Tür stehen und beobachtete, wie Charlotte sich auf ihrem Bett zusammenrollte.
    »Alles okay?«, fragte ich.
    »Ich weiß es nicht, Nora. Ich bin nur froh, dass meine Mom nicht nach Hause kommt. Dieses Wochenende habe ich echt nicht die Kraft, so zu tun, als wäre alles super.«
    »Möchtest du reden?«
    »Weiß ich nicht«, antwortete sie und schloss die Augen. »Kommt drauf an, was du hören willst.«
    Ich lehnte mich an den Türrahmen und kam mir irgendwie komisch vor.
    »Du darfst übrigens ruhig reinkommen. Wenn du willst. Komm rein und setz dich.«
    Also ging ich hinein und setzte mich auf den Drehstuhl hinter ihrem Schreibtisch. Auf dem Tisch lag ein Stapel bunter Plastikmappen, beschriftet in klassischer Englischlehrermanier: »Mäuse-Menschen-U-Einheit«, »Hamlet-U-Einheit«, »2. J. Hausaufgaben, korr.«, »5. J. Hausaufgaben, unkorr.«, Abschl.kl. – div. Mist«. Sie hatte tatsächlich einen Ordner mit »div. Mist« beschriftet. Für mich sah das allerdings alles wie div. Mist aus. Auf dem

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