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Rosenrot, rosentot

Rosenrot, rosentot

Titel: Rosenrot, rosentot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Arsenault
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wieder die Geschichte ein, die Don so gerne erzählt«, redete Charlotte weiter, »darüber, wie er einmal im Unterricht Das Tagebuch der Anne Frank besprach und fast mit dem Buch durch war, als ein Schüler mitten im Unterrichtsgespräch plötzlich mit großen Augen aufsah und fragte: ›Warten Sie mal. Anne Frank war Jüdin?‹«
    »Don?«, fragte ich.
    »Mr. Hauser.« Charlotte überflog das Blatt vor sich und malte ein dickes rotes Plus oben in die Ecke.
    »Wie bitte?« Ich war fassungslos, dass Charlotte unseren alten Englischlehrer beim Vornamen nannte. »Du meinst Pizzanase?«
    »Ja. Don ist eigentlich echt nett.«
    »Pizzanase?« Auf mich hatte er eher überheblich und kalt gewirkt, aber vielleicht war ich zu der Zeit ja auch einfach nur überempfindlich gewesen. »Nett, ja?«
    Charlotte lächelte verkrampft und widmete sich wieder ihren Korrekturen. »Ja.«
    Nun regte sich Mitleid in mir. Es war eine Sache, in demselben Haus zu wohnen wie früher und an der Highschool zu unterrichten, auf die man selbst gegangen war. Aber die Vorstellung, dass man sich mit jemandem wie Pizzanase anfreundete, der ständig ekligen Mundgeruch und außerdem Kreidefingerabdrücke am Hosenschlitz hatte – das war bezeichnend, und zwar nicht auf eine gute Art.
    »Wobei mir einfällt«, unterbrach Charlotte meine Gedanken, nachdem sie noch ein paar Arbeiten durchgesehen hatte, »ich habe von Don die Betreuung des Looking Glass übernommen.«
    Looking Glass war das Literaturmagazin der Waverly High, dessen Chefredakteurin Charlotte früher mal gewesen war.
    »Cool«, sagte ich, »dass du das wieder machst.«
    »Ach, jetzt komm, sprich es schon aus! Es ist erbärmlich. Wie eine Kehrtwende. Und die in einem sehr, sehr kleinen Wendekreis.«
    »Nein, das wollte ich gar nicht sagen«, protestierte ich halbherzig.
    Minutenlang schwiegen wir. Charlotte schaltete den Fernseher an und gab mir die Fernbedienung, dann korrigierte sie weiter. Als sie einen Stapel fertig hatte, nahm sie sich den nächsten vor.
    »Ich möchte dir gern was vorlesen. Das ist bisher mein Lieblingstext aus dem Looking Glass. «
    »Okay«, gab ich mich geschlagen und strengte mich an, halbwegs interessiert auszusehen. Etwas an dieser Unterhaltung war seltsam und kam mir sogar noch trauriger vor als die Geschichte von Rose’ Knochen.
    Sie sah nicht auf, sondern begann gefühlvoll zu lesen: »›Eine riesige Wäscheleine am Himmel – / so weit oben, dass man den Boden kaum sieht. / Du klammerst dich an ein dünnes T-Shirt. / Es reißt gleich, also hangelst du dich, eine Hand nach der anderen, / zum nächsten Kleidungsstück – einem roten Frotteemantel. / Aber der Wind weht, und du schwankst so sehr, / dass beim Greifen eine der Wäscheklammern abspringt, / und der Bademantel schleudert dich beinahe in den Äther.‹«
    Charlotte hörte auf zu lesen und schaute mich an, eine Augenbraue hochgezogen und den Mund unsicher verkniffen. Offensichtlich erwartete sie eine Reaktion.
    »Das ist hübsch«, behauptete ich. »Anders.«
    Charlotte kaute auf ihrer Unterlippe. »Es ist noch nicht zu Ende.«
    »Ach so.«
    »›Du hängst jetzt so tief, / dass du fürchtest, das nächste Stück nicht zu erreichen – / ein fester, hautfarbener BH . / Du siehst nach vorn, und der Rest der Wäscheleine ist voll / mit den BHs deiner Mutter, so weit dein Auge reicht. / Du weißt nicht, wieso, aber du lachst über sie. / Deine Konzentration lässt nach, / und als du nach dem nächsten BH greifst, / greifst du kichernd vorbei. / Die zweite Klammer schnappt weg, / und du segelst hinab auf den Beton.‹«
    Ich stutzte. »Und das ist das Ende?«
    »Ja.«
    »Gefällt mir. Nehmen sie es rein?«
    »Wer?«
    »Die Schüler? Drucken sie es in ihrer Zeitung?«
    Charlotte druckste herum. »Abwarten.«
    »Du hast einen ziemlich witzigen Job, Charlotte.«
    »Mal so, mal so.« Sie sah finster zum Fernseher. »Nora?«
    »Ja?«
    »Auch als wir nicht mehr viel miteinander zu tun hatten, als ich ... auf der Highschool mit anderen Sachen beschäftigt war, habe ich an dich gedacht. Ich wollte, dass es dir gut geht. Immer habe ich mir gewünscht, dass du glücklich bist, auch als wir getrennte Leben führten. Ich wünschte mir, dass mehr Leute begreifen, wer du wirklich bist.«
    Das erschreckte mich. Wie kam sie denn jetzt darauf, das zu sagen? Vielleicht dachte sie wegen dem Looking Glass wieder an unsere Highschool-Zeit. Oder vielleicht versetzte einfach alles einen zurück an die Highschool, wenn man ihren

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