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Rosenrot, rosentot

Rosenrot, rosentot

Titel: Rosenrot, rosentot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Arsenault
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nicht.«
    »Und verabschiedest du dich auch?«
    »Das weiß ich nicht mehr.« Und das stimmte. Ich fand den Gedanken schrecklich, dass ich mich womöglich gar nicht verabschiedet hatte.
    »Bist du sofort reingegangen?«
    »Nein.«
    »Wieso nicht? Draußen war es doch kalt.«
    Ich überlegte. Oft blieb ich noch draußen, um die Zeit zu verkürzen, die ich mit Mrs. Crowe alleine verbringen musste, ehe meine Mutter nach Hause kam. Es war nicht, dass ich Mrs. Crowe nicht gemocht hätte, ich wusste nur einfach nie,was ich mit ihr reden sollte. In den wärmeren Monaten ging ich hinunter zur Bushaltestelle und schlug die Zeit tot, indem ich in dem Gras neben dem Gehweg nach vierblättrigem Klee suchte. Aber das konnte ich Charlotte schließlich nicht erzählen.
    »Das mache ich manchmal ... Mir war einfach danach, ein bisschen draußen zu sein. Ich habe Blätter gesammelt.«
    »Und du hast gesehen, wie Rose den Hügel hinaufgegangen ist.«
    »Nicht den ganzen Weg, das nicht. So weit kann ich gar nicht gucken. Nur das erste Stück.«
    »Wie lange warst du draußen?«
    »Eine Weile. Bis es schon ziemlich dunkel war.«
    »Okay. Interessant, denn das wusste ich nicht. Weiß es die Polizei?«
    Als sie mit meiner Mutter gesprochen hatten, hatten sich die Polizisten nur für Rose interessiert, nicht dafür, was ich gemacht hatte, nachdem Rose gegangen war.
    »Nein.«
    Charlotte holte tief Luft. »Hast du irgendwas von weiter oben gehört? Irgendetwas ? «
    »Was denn zum Beispiel?«
    »Zum Beispiel ... äh, Kampfgeräusche. Oder ...« Charlotte senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Zum Beispiel Schreie. Rose’ Schreie.«
    Nein, ich hatte keine Schreie gehört. Während sich der Himmel langsam verdunkelte, waren die einzigen Geräusche die von ein oder zwei Autos gewesen, die den Hügel hinauffuhren. Aber bei dem Stichwort »Schreien« – und als ich mich an das Gespräch erinnerte, das Rose und ich über Druiden geführt hatten – fiel mir etwas ein, das Charlotte einmal überDruiden erzählt hatte: Wenn sie Leute im Krieg gefangen nahmen, sperrten sie sie in Hängekörbe, die sie dann in Brand steckten. Aus der Form des Rauches und dem Klang der Schreie konnten sie angeblich die Zukunft vorhersagen.
    Ich setzte mich ein wenig auf, weil mich der Gedanke verstörte. Als Charlotte es vor Monaten zum ersten Mal erwähnt hatte, hatte ich mir gar nicht viel dabei gedacht. Aber jetzt. Jetzt, wo das Letzte, was ich zu Rose gesagt hatte, gewesen war, dass ich an Druiden glaubte. Und wenn ich an Druiden glaubte, dann musste ich auch an alles glauben, was man über sie erzählte – nicht bloß an die schönen, rätselhaften Steine.
    »Fällt dir noch was ein?«, fragte Charlotte. »Erinnerst du dich doch daran, dass sie geschrien hat?«
    Ihre Grausamkeit war genauso real, wie Stonehenge es immer noch war. Vielleicht sogar noch echter. Ich konnte es fühlen. Was also sollte jemanden davon abhalten, Rose so etwas anzutun – oder irgendeinem von uns? Und warum musste Charlotte immer wieder von Schreien reden?
    »Nein.« Ich sank in die Kissen zurück. »Es war alles ruhig. Ich habe ein paar Blätter aufgesammelt und bin dann reingegangen.«
    »Bist du vollkommen sicher, dass du nichts Ungewöhnliches gehört hast?«
    »Ja«, antwortete ich.
    An jenem Abend jedoch, als ich mit meiner Mutter fernsah, regten sich Zweifel in mir. Wir guckten »Wer ist hier der Boss?« und »Unser lautes Heim«, zwei Serien, die mich normalerweise aufmunterten, obwohl meine Mutter kopfschüttelnd neben mir saß, weil sie das alles so albern fand. Aber diesmal wurde ich einfach den Gedanken nicht los, dass ichetwas hätte hören müssen, dass Rose vielleicht geschrien und ich es schlicht überhört hatte. Mir kam es so vor, als ob ich ständig Dinge nicht mitbekam, die ich eigentlich hätte hören sollen.
    Erst vor ein paar Wochen hatte Mrs. Early der ganzen Klasse mitgeteilt, dass sie uns ab sofort nicht mehr erlauben würde, während des Unterrichts zur Toilette zu gehen; und wenige Minuten später ging ich zu ihr und fragte sie, ob ich auf die Toilette gehen dürfe. Als sie ausflippte und alle anderen stöhnten, erinnerte ich mich plötzlich wieder daran, dass sie etwas gesagt, wegen irgendwas mit uns geschimpft hatte, doch ich hatte nicht hingehört.
    In letzter Zeit bemerkte ich öfter, dass ich Leuten nicht richtig zuhörte. So war das eben, wenn man »das stille Mädchen« war. Alle redeten um einen herum, und am Ende erwarteten sie nicht mal mehr,

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