Rosenrot, rosentot
überspringen, denn ich hatte gestern nichts davon erwähnt, weil ich wütend auf sie war und weil ich nicht sicher gewesen war, was sie und ihr blutjunger Reporterfreund ausheckten.
Charlotte packte eine verbeulte Zigarettenschachtel aus und drückte sie zwischen den Händen platt. Dabei starrte sie mich stumm an. Ich fürchtete, sie würde mich noch mal fragen, warum ich ihr nichts erzählt hatte, aber das tat sie nicht.
»Das Komische ist nicht, dass sie ihm Fragen gestellt haben«, erklärte sie stattdessen und zog eine Zigarette aus der Schachtel, »sondern dass er sich weigerte, sie zu beantworten.«
Ich war gerade dabei, den Geschirrspüler zu beladen, hielt jedoch mitten in der Bewegung inne.
»Anscheinend war am Anfang alles ganz friedlich«, fuhr sie fort und klickte mehrmals mit ihrem Feuerzeug, bis endlich eine Flamme kam. »Aber irgendwann hörte er einfach auf und wollte plötzlich nicht mehr mit ihnen reden. Er meinte, dass er erst mit einem Anwalt sprechen wolle. Das hat Paul schrecklich aufgeregt.«
Ich beobachtete einen Moment lang, wie sie vor sich hin paffte, und versuchte einzuschätzen, wie sehr sie das Ganze aus der Fassung brachte – was schwer zu sagen war, denn sie sah mich nicht an.
»Also, Paul hat es aufgeregt. Und was ist mit dir?«, fragte ich deshalb schließlich.
Charlotte schüttelte den Kopf. »Das Ding bei Paul ist, dass er so naiv ist. In heiklen Situationen konnte mein Dad schon immer ein zäher Brocken sein. Aber Paul trifft es bis heute jedes Mal völlig unvorbereitet.«
»Ein zäher Brocken? Inwiefern?«
Achselzuckend blies sie eine lange Rauchfahne über den Küchentisch. »Na ja, er brüllt Kassierer an, die ihm versehentlich falsch rausgeben. Oder er springt brüllend aus dem Wagen, wenn ihm jemand die Stoßstange eindellt. Und er entschuldigt sich nie. Niemals. Solche Sachen halt.«
»Verstehe«, sagte ich leise.
»Ich dachte nur, dass du es wissen solltest, bevor du es von jemand anderem hörst.«
»Ich wohne seit Jahren nicht mehr hier, also schwappt die Gerüchteküche von Waverly nicht mehr bis zu mir hinüber.«
»Stimmt. Trotzdem.«
Ich hing irgendwie idiotisch über dem Geschirrspüler und überlegte, was ich noch sagen könnte. Es kam mir vor, als ob ich noch weiter nach ihrem Dad fragen sollte, aber damithätte ich gleichzeitig ausgedrückt, dass ich dachte, dass es dazu noch etwas zu sagen gab. Und Charlotte bemühte sich eindeutig, mir zu vermitteln, dass mit ihrem Vater gar nichts war und bloß Paul so tat als ob.
Doch noch bevor ich mich entschieden hatte, wechselte Charlotte das Thema. »Ich wollte dir gestern Abend schon sagen, dass mir diese ganze Looking-Glass -Geschichte leidtut. Natürlich weiß ich nicht, ob du deshalb gestern Abend abgereist bist oder ob es war, weil ich so gedrängelt habe, dass ihr euch Aaron anguckt.«
Ich hatte das Gefühl, dass sie die Sache mit Aaron allein deshalb erwähnte, weil sie sich weniger Sorgen wegen ihres Vaters machen wollte, weil sie sich einreden wollte, dass das Interesse der Polizei an ihrem Vater nichts zu bedeuten hatte.
»Ach, mach dir deswegen keine Gedanken ...«, sagte ich deshalb betont gelassen.
Eigentlich wollte ich nicht noch einmal mit ihr davon anfangen – weder von Aaron noch vom Looking Glass . Wie viele Runden »›Du hast das geschrieben!‹ / ›Nein, habe ich nicht!‹« brauchten wir denn noch? Und was sollte das überhaupt bringen?
»Es tut mir leid, wenn ich dich verärgert habe«, entschuldigte sie sich. »Es war unsensibel von mir, die Schulzeitung ins Spiel zu bringen. Das hätte ich nicht machen dürfen. Oder ich hätte zumindest aufhören sollen, als klar wurde, dass du nicht darüber reden willst ...«
»Übrigens habe ich noch mal nachgedacht. Du warst dir so sicher, dass ich die Gedichte geschrieben haben muss. Und ich dachte, dass es doch merkwürdig ist, wie sehr einige von ihnen dem ähneln, was Rose aufgeschrieben hatte. So sehr, dass man beinahe glaubt, der- oder diejenige hätte die Texte beimSchreiben vor der Nase gehabt. Und das macht es besonders schräg, dass du dachtest, sie wären von mir. Immerhin hattest du ihre Traumaufzeichnungen von damals, nicht ich. Außerdem kam es mir seltsam vor, dass du meintest, ich würde mich nach fünf Jahren noch so gut an alles erinnern, aber nicht bedacht hast, dass du die Chefredakteurin der Zeitung warst und Rose’ Zettel in einem Karton aufbewahrt hast.«
Charlotte seufzte und zog an ihrer Zigarette. »Ich habe
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