Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rosenrot, rosentot

Rosenrot, rosentot

Titel: Rosenrot, rosentot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emily Arsenault
Vom Netzwerk:
Doch das erwähnte sie danach nie wieder.
    »Leg dich auf mein Bett«, befahl sie, als ich ein bisschen zu lange geschwiegen hatte. »Vielleicht hilft es ja, wenn du dich entspannst.«
    Vorsichtig balancierte sie die Spange auf meiner Stirn aus und nahm dann ihren Notizblock vom Nachttisch.
    »Für wen will sie hübsch aussehen?«, fragte sie streng.
    »Weiß ich nicht.«
    »Dann musst du dich eben richtig konzentrieren. Was siehst du sonst noch?«
    »Nichts«, erwiderte ich nach einer längeren Pause.
    »Bist du sicher?«
    Ich nahm die Spange von meinem Kopf und setzte mich auf. »Nichts«, wiederholte ich und schleuderte Charlotte die Haarspange entgegen.
    Ich wollte nicht an Rose’ Haar denken. Wenn ich an Rose’ Haar dachte, sah ich es immer mit einer Männerhand darauf. Die Hand gehörte Charlottes Dad. Sie saßen zusammen in der Garage. Seine Hand tätschelte ihre Schulter, bevor er aufstand, und verfing sich kurz in den blonden Strähnen, nur eine Sekunde lang. Dann war sie fort, tauchte in seine Hosentasche und klimperte mit den Münzen. Alles ging so schnell, dass es ein Leichtes gewesen wäre, es gleich wieder zu vergessen.
    »Ich will das nicht mehr«, sagte ich und stieg vom Bett.
    Charlotte tippte mit dem Stift an ihre Lippen und guckte mich an, als wäre ich eine Laborratte.
    »Okay«, brummte sie.

Dreizehn

    24. Mai 2006
    Mir blieb eine gute halbe Stunde, bis es dunkel wurde. Am Ende der Hemsworth-Einfahrt blieb ich stehen und überlegte, welchen Weg ich einschlagen wollte. Ich könnte den Fox Hill hinuntergehen, dorthin, wo die Straße auf die Main Street traf, und von dort aus rüber zur Adams Road. Auf diese Weise würde ich am Tennisplatz der alten Junior High vorbeikommen, wo ich als Teenager viel Zeit verbracht hatte. Im Alter von etwa vierzehn, fünfzehn Jahren hatte ich beschlossen, dass ich fett war und laufen musste. Durch die Straßen zu joggen wäre viel zu peinlich gewesen, daher ging ich bis dort unten und lief dann endlose Runden um die verlassenen Tennisfelder. Irgendwann in den Siebzigerjahren hatte jemand den brillanten Einfall gehabt, dass die Junior High einen Tennisplatz brauchte. Direkt an der Schule war aber alles verbaut, und so wurde der Platz in zehn Minuten Fußweg-Distanz angelegt; was wiederum zur Folge hatte, dass keiner je dort spielte oder den Platz pflegte. Der Boden war überall eingerissen, als wäre Connecticut von einem üblen Erdbeben heimgesucht worden, Unkraut wucherte den Maschendrahtzaun hinauf – es fühlte sich einfach an wie das Ende der Welt. Gerade das hatte mir jedoch früher auf eine merkwürdige Art das Gefühl vermittelt, sicher zu sein. Hier würde mich sicher niemand belästigen.
    Am Tennisplatz vorbei führte ein Weg hinter den McMullen-Obstgärten entlang zum Adams Pond. Bis dahin war es recht weit, doch manchmal hatten wir früher den Weg auf uns genommen – wenn uns langweilig genug war. Geschwommen sind wir in dem Teich zwar nie – er war zu morastig, voller Frösche und eklig –, aber alle Kinder aus der Gegend gingen dort im Winter Schlittschuhlaufen, obwohl unsere Eltern es gar nicht gut fanden. Ich erinnerte mich noch an das erste Mal, als Charlotte, Toby und ich etwa acht Jahre alt waren. Rose wagte sich als Erste aufs Eis und ahmte eine besonders affektierte Eiskunstläuferin nach, deren Drehungen und Handbewegungen sie zudem noch übertrieb, um sie zu veralbern. Paul, der sich nicht von einem Mädchen übertrumpfen lassen wollte, ging direkt nach ihr aufs Eis und glitt mit schwingenden Bewegungen auf seinen großen blauen Adidas über die Fläche. Er umkreiste Rose und lachte über ihre Faxen. Tobys großer Bruder Joe folgte ihnen, lief rückwärts fast bis zur Teichmitte und brachte uns drei – Charlotte, Toby und mich – mit seinem Moonwalk zum Gackern. Zu guter Letzt gesellte sich auch noch Toby zu den anderen.
    Der Weg vom Obstgarten zum Tennisplatz war schöner als der den Fox Hill hinauf, der an all den vertrauten Häusern vorbeiführte. Andererseits wollte ich mich ungern der Stelle nähern, an der man Rose’ Leiche gefunden hatte. Charlotte hatte mir erzählt, dass der Bereich immer noch abgesperrt gewesen war, als sie zuletzt nachgesehen hatte.
    Also ging ich stattdessen den Fox Hill hinauf. Ich kam bei Mrs. Shepherd vorbei, deren Vorgarten ein schönes hellgelbes Meer aus Millionen von Irisblüten war, und an ein paar anderen Häusern, deren Besitzer ich schon früher nicht mit Namen gekannt hatte. Dann erreichte ich

Weitere Kostenlose Bücher