Rosenrot, rosentot
Mrs. Crowes Haus.
Es war grüner und kleiner, als ich es in Erinnerung hatte, und brauchte dringend einen frischen Anstrich. Blinzelnd sah ich zu den beiden Fenstern im ersten Stock hinauf, die zu meinem Zimmer gehört hatten. Das Glas wirkte stumpf, als wären sie schon lange nicht mehr geputzt worden. Es waren immer noch die alten zugigen Fenster mit den verrosteten Riegeln, die bei jedem Öffnen und Schließen ein metallisches Kreischen von sich gaben. Wie viele Jahre hatte ich hinter diesen Fenstern verbracht! In meiner Erinnerung verschwammen sie alle zu einem Brei aus Mathehausaufgaben, imaginären Freunden und traurigen Songs, die wieder und wieder auf einem uralten rosa Gettoblaster gespielt wurden. Ich ging weiter. Wie befremdlich es sich anfühlte, an diesem kastenförmigen grünen Haus vorbeizugehen, während es dunkel wurde, und nicht in die holzvertäfelte Diele mit dem lauwarmen gelben Licht zu treten.
Dahinter wurde der Hügel steiler; auch hier standen noch einige Häuser. Auf das von Rose’ Eltern warf ich nur einen Seitenblick, auch wenn das Bauernhof-Rot schwer zu übersehen war.
Nach ihm kamen noch ein oder zwei schlichtere Häuser, bevor der Weg eine Biegung machte und rechts und links zahlreiche Bäume den Abstand zwischen den Gebäuden vergrößerten. Anschließend folgte ein dichter bewaldetes Stück, das niemandem zu gehören schien, und noch weiter oben eine breite Gabelung: Die Fox Hill Road führte weiter steil bergan, der Fox Hill Way bergab zu den wenigen anderen Häusern, bevor man auf Tobys und die Mülldeponie traf.
Ich entschied mich für den Fox Hill Way.
Tobys Haus war besser erhalten, als ich gedacht hätte. Sogar im Zwielicht erkannte man, dass die weiße Farbe frischund sauber war, und als ich näher heranging, roch ich frisch gemähtes Gras.
Bei dem Geruch von gemähtem Gras musste ich immer an Joe Dean denken. Als wir Kinder waren, hatte Joe Mrs. Crowes Rasen gemäht und sich so etwas Taschengeld verdient. Einmal – es musste so an die dreißig Grad heiß gewesen sein – hatte er mich gebeten, ihm einen nassen Waschlappen zu bringen, damit er sich abkühlen konnte. Zu meinem Entzücken neigte er den Kopf in den Nacken und mähte mit dem Lappen auf dem Gesicht weiter, während ich ihm Kommandos zubrüllte, wo er wenden musste, wo einem Baum ausweichen und wo am Weg umdrehen. Mrs. Crowe war außer sich gewesen, als sie rauskam und sah, was wir da anstellten.
Während das Wohnhaus der Deans frisch gestrichen und gepflegt war, wirkten die Nebengebäude, die ich als Kind so gemocht hatte, ziemlich verfallen. Der Schuppen, in dem Joe früher seine Kunstwerke gebastelt hatte, war praktisch zur Seite gekippt, und der allzeit verfluchte Rübenkeller war nur noch ein kleiner Holzhaufen auf dem Rasen.
»Hey, Nora!«, rief jemand.
Ich blinzelte hinüber zur Dean-Veranda. Es war Joe Dean, der rauchend auf der obersten Verandastufe hockte.
»Hi«, sagte ich. »Ich gehe nur ein bisschen spazieren.«
»Willst du zu Toby?«
»Nein ... aber wenn er da ist, kann ich vielleicht kurz Hallo sagen ...«
Joe führte mich ins Haus und durchs Wohnzimmer in die Küche, wo Toby saß und Zeitung las. Als wir hereinkamen, blickte er verwundert auf.
»Du hast Besuch«, erklärte Joe.
Die Küche war noch genau so, wie ich sie in Erinnerunghatte. Sie war mit rötlich braunem Linoleum ausgelegt, das kleine Backsteine imitierte. Die schlicht weißen Schränke waren um die Metallgriffe herum zerkratzt und vergilbt. Auf dem Tisch stand eine Kastenform. Sie war zur Hälfte mit einer krustigen dunklen Substanz gefüllt, in der ein Messer steckte.
Beinahe hätte ich gefragt, was das war, fürchtete jedoch, das könnte unhöflich sein. Aber Toby hatte schon bemerkt, wo ich hinsah.
»Das ist ein Hackbraten«, erklärte er. »Ein verunglückter Hackbraten.«
»Warum steht er nicht im Kühlschrank?«
»Joe hat entschieden, dass er ungenießbar ist, und wollte die Form abwaschen. Aber wie es aussieht, hat er aufgegeben, nachdem er die Hälfte ausgekratzt hat.«
»Den Rest schrubbe ich heute Abend noch«, verteidigte sich Joe. »Mann!«
Ich konnte nicht aufhören, den Hackbraten anzustarren. Was Toby da beschrieben hatte, musste schon vor Tagen passiert sein, sonst wäre der Fleischklumpen niemals so hart geworden. Fast musste ich kichern, denn diese Kastenform hätte man ohne Weiteres unter dem Titel »Junggesellenleben« im Museum ausstellen können.
»Seit Dad gestorben ist, geben wir uns
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