Rosenrot
sich und wünschte, er hätte einen dicken Papierstapel, in dem er blättern könnte. Er begann dessen Funktion zu begreifen.
Er kroch zu Kreuze: »Viggo und ich haben einen großen Teil der Nacht damit verbracht, in der Rudhagen Klinik Ola Ragnarssons und Dag Lundmarks Krankenakten durchzusehen. In Lundmarks Gesprächen mit Psychologen und Ärzten taucht ziemlich oft eine ›Kerstin‹ auf. An einer Stelle wird sie sogar ›Kerstin H.‹ genannt. Es war wohl nicht zu weit hergeholt, ›Kerstin H.‹ mit der Polizei in Göteborg zu verknüpfen.«
»In welchem Zusammenhang taucht das auf?« fragte Paul Hjelm. »Das ist wichtig.«
»Erst erzählt ihr mal, warum es wichtig ist. Damit wir an einem ganzen Fall arbeiten und nicht an einem verstümmelten.«
Wieder das Spiel der Blicke zwischen Hultin-Hjelm-Svenhagen. Paul Hjelm merkte, dass die Entscheidung ihm überlassen wurde.
»Verstümmelt...«, sagte Chavez und sah ganz andere Bilder vor sich.
Hjelm sah ihn einen Augenblick an, seufzte und begann: »Kerstin Holm und Dag Lundmark hatten vom Frühjahr 1992 bis zum Sommer 1994 ein Verhältnis. Es war keine gute Beziehung. Ganz und gar nicht. Es gibt eine Reihe von Anzeichen dafür, dass Dag Lundmark es nicht auf die Polizei im allgemeinen, sondern auf Kerstin im besonderen abgesehen hat. Und es ist nicht ausgeschlossen – dass Kerstin hinter ihm her ist. Im schlimmsten Fall kann es sein – dass er genau das will.«
»Und ihr fandet es angebracht, das der A-Gruppe vorzuenthalten, die an diesem komplizierten Fall arbeitet?«
»Es war um Kerstins willen. Sie sollte nicht damit herumlaufen müssen, zwei Jahre mit dem Mörder geschlafen zu haben. Die Situation ist jetzt eine andere, zugegeben. Ich war übrigens heute morgen mit einem Schlosser bei ihr zu Hause. Wir haben die Tür geöffnet. Es ist seit gestern morgen niemand da gewesen. Die Post von Freitag lag noch da, die Samstagszeitung. Und es gab keine anderen Spuren.«
Söderstedt nickte eine Weile, als versuchte er, Fäden zu verknüpfen. »Was wir in Rudhagen gefunden haben«, sagte er schließlich, »ist ungefähr folgendes...«
»Entschuldige, wenn ich unterbreche«, sagte Hultin. »Aber ich bin trotz allem der Meinung, dies sollte ein wenig warten. Wir hatten letzte Nacht ein drastisches Vorkommnis, und ich wollte die Sitzung damit beginnen, einfach zu fragen: Wie geht es euch, Gunnar und Jorge?«
Gunnar Nyberg war bleich geworden. Das war nicht gerade alltäglich. Er sagte: »Ich habe ziemlich lange mit Kerstin das Büro geteilt. Aber Dag Lundmark? Das passt nicht. Ich kann mich daran erinnern, dass sie von einer richtig schwierigen Beziehung sprach, die sie vor zehn Jahren mit einem Kollegen hatte. Das war also Lundmark? Und jetzt ist sie hinter ihm her? Das sieht ihr auch nicht ähnlich.«
»Danach habe ich nicht gefragt«, sagte Hultin neutral.
»Die wunderlichen Bindungen, die die Liebe schafft, sind nicht rational«, sagte Sara Svenhagen. »Man verhält sich nicht wie gewöhnlich.«
»Das weiß ich besser als sonst jemand«, erwiderte Nyberg. »Aber Kerstin Holm? Das passt nicht zusammen. Es muss mehr dahinterstecken.«
»Wollten wir nicht über einen Kopf sprechen?« insistierte Hultin.
»Dass wir es vorziehen, über die Lebenden zu sprechen, statt über die Toten, ist wohl ein gutes Zeichen«, sagte Chavez.
»Wenn sie noch unter den Lebenden ist«, sagte Paul Hjelm.
Es wurde still. Sie sahen ihn an.
»Ich habe die ganze Nacht davon geträumt«, fuhr er mit leiser Stimme fort. »Der Scharfschütze. Der Giftmischer. Der sich jetzt auch noch als Scharfrichter erweist. Er ist raffiniert. Diese experimentelle Droge scheint ihn noch schärfer gemacht zu haben, kränker aber auch raffinierter. Alles deutet darauf hin, dass er sie genau in diese Situation bringen wollte. Und bisher ist ihm wirklich alles gelungen, was er sich vorgenommen hat. Er kann sie schon hingerichtet haben. Eine schnelle Kugel ins Herz aus einer Wettkampfpistole. Eine Dosis Talliumsulfat in die Vene. Oder ...«
»Himmelherrgott«, rief Hultin. »Nun wollen wir doch nicht gleich den Teufel an die Wand malen. Glaubst du wirklich, Lundmark wäre raffinierter als Kerstin? Hast du so wenig Zutrauen zu deiner engsten Kollegin? Es gibt überhaupt keinen Grund anzunehmen, dass sie direkt in seine Falle tappen würde.«
»Er geht nach einem sorgfältig inszenierten rationalen Plan vor. Sie wird von chaotischem Gefühlsverhalten bestimmt. Was glaubst du denn selbst?«
»Dass er
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