Rosenrot
sich nicht die ganze Mühe gemacht hat, nur um sie zu erschießen oder sie mit einem schnell wirkenden Gift zu vergiften oder um ihr den Kopf abzuschlagen.«
»Nein«, sagte Hjelm. »Vermutlich hast du recht. Er zieht das Ganze lieber in die Länge. Vielleicht ist er schon dabei, sie zu foltern. Er kann es auf eine Woche ausdehnen, während wir weiter im dunkeln tappen.«
»Jetzt ist aber Schluss«, donnerte Hultin. »Du hast deine Angst rausgelassen, und das ist in Ordnung. Aber jetzt muss es auch gut sein. Jetzt sind Fakten und planmäßiges Vorgehen angesagt. Und wie war das jetzt mit diesem Kopf? Gunnar und Jorge, wie geht es euch?«
»Ich habe einen Schädel auf den Schädel bekommen«, sagte Chavez. »Reicht das nicht? Und mein altes Lieblingssakko ist nicht mehr zu retten. Ich habe es heute morgen weggeworfen. Wie wenn man seine alte Katze begräbt. Ich habe am Müllschlucker eine Schweigeminute eingelegt.«
Hultin seufzte laut. »Könnten wir dies vielleicht auf einem etwas gehobeneren Niveau abhandeln«, sagte er bittend. »Habt ihr mit jemandem geredet?«
»Einem Psychologen?« fragte Gunnar Nyberg. »Glaubst du selbst daran?«
»Es ist ein traumatisches Erlebnis. Es ist vorstellbar, dass selbst ein Übermensch wie du ein wenig Hilfe braucht, um Erlebnisse, die das erträgliche Maß übersteigen, zu verarbeiten. Und du, Jorge?«
»Nein. Keinen Psychologen. Ich glaube, das ist nicht nötig.«
»Gut. Dann können wir ja zu etwas ganz anderem übergehen. Was in Dreiherrgottsnamen habt ihr euch eigentlich dabei gedacht? Die Tür einzutreten und die Alarmanlage zu zerschießen? Dienstvergehen ist noch eine verschönernde Umschreibung. Ein Rauswurf wäre eine Belohnung.«
»Man könnte es vielleicht Gespür nennen«, sagte Chavez und blinzelte zu Nyberg hinüber.
»Wir waren gezwungen, auf einen Tipp zu reagieren«, sagte Nyberg. »Es war dringend.«
»Vergiss nicht, mit wem du gerade sprichst«, sagte Hultin.
»Ein Tipp? Mach dich nicht lächerlich. Du hast keinen Tipp gesehen, seit du aus den Rattenlöchern der Unterwelt herausgekrabbelt bist.«
»Nun komm schon – wir haben etwas Wichtiges gefunden. Sonst wäre er genauso verfault wie alle anderen in dieser Ermittlung. Die Leichenwürmer sind die Hauptpersonen, verflucht. Wir hatten einfach keine Wahl.«
»Okay«, sagte Hultin. »Lassen wir das. Carl-Ivar Skarlander, Informationschef bei Dazimus Pharma, muss also den Mörder freiwillig in sein Haus am Björkhagsväg auf Lidingö eingelassen haben.«
»Ja«, sagte Chavez. »Er hat Lundmark hereingelassen und Lundmark hat ihn enthauptet. Es muss etwas überraschend gekommen sein. Ich habe versucht, mir unser einziges Gespräch mit ihm, in seinem Büro bei Dazimus, in Erinnerung zu rufen. Der unglaublich professionelle Empfang. Aber erinnerst du dich, Gunnar, in dem Moment, als er fragte, was wir wollten? Da glitt etwas über sein Gesicht. Und dann fragte ich nach der Schwarzreinigung. Was dann folgte, waren ja – so jetzt im nachhinein – reinste Freudenszenen. Die schiere Erleichterung. Er hatte gefürchtet, wir seien gekommen, um ihn wegen Anstiftung zum Mord festzunehmen. Als er begriff, worum es sich drehte, wurde er – geistreich. Klopfte uns auf die Finger.«
»Ja«, sagte Nyberg. »Bestimmt war es so. Aber als wir ihn verließen, muss es ihm gedämmert haben, wie dicht wir dran waren. Ohne es selbst zu sehen.«
Chavez nickte und sagte: »Wahrscheinlich war nur er es, der bei Dazimus dieses Spiel in den Grauzonen betrieb: die Schwarzreinigungsverträge mit Reines Haus, die experimentellen Drogen in Rudhagen und jetzt das Formelspiel mit Lundmark. Ich glaube, Dazimus hat ihn bewusst mit allen zweifelhaften Geschäften betraut, damit die Firmenleitung den Rücken frei hatte. Sie wollten nichts wissen. Das ist eine ziemlich verbreitete Unternehmensstruktur.«
»Ich glaube nicht, dass Lundmark Skarlander mochte«, sagte Nyberg. »Die Enthauptung war sorgfältig geplant, genau wie alles andere in seinem Leben, seit er seine feinen neuen Drogen bekam. Er hat Zigarrenhülsen aus Metall beschafft, um uns seine Bibelzitate in den Hals zu stecken. Sozusagen.«
»Ja«, sagte Hultin und streckte den Rücken. »Was sollen wir denn von den Bibelzitaten halten? Verändern sie unser Bild von Dag Lundmark?«
»Eigentlich nicht«, sagte Sara Svenhagen. »Schon als er sich mit Kerstin verlobt hat, benutzte er ein ziemlich unpassendes Zitat aus dem Hohenlied. Ein langes Zitat, das er auswendig konnte
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