Rosenrot
zusammengetragen, und das war nicht viel. Ein Eigenbrötler, sagten die Nachbarn in der Wollmar Yxkullsgata. Man sah ihn überhaupt nie. Sah ziemlich gut aus, fand eine Nachbarin. Eklig, fand eine andere. Es war nicht möglich, irgendwelche Schlussfolgerungen zu ziehen. Verwandte konnten nicht aufgetrieben werden, alles, was es gab, waren amtliche Papiere. Davon allerdings eine ganze Menge. Aber ziemlich alt.
Ragnarsson war knapp fünfzig Jahre alt gewesen, und allem Anschein nach hatte er während der sonderbaren Kapitalexplosion in den achtziger Jahren ein Vermögen gemacht. Ola Ragnarsson war einer der ersten, die auf den Cayman Islands eine Investmentgesellschaft gegründet hatten. Im Laufe weniger Jahre hatte er ein umfangreiches Netz von Finanzgesellschaften aufgebaut, und an willigen Spekulanten hatte es keineswegs gefehlt. Dann hatte er plötzlich alles verkauft, sich zurückgezogen und in einer abseits gelegenen kleinen Wohnung auf Södermalm von seinen Zinsen gelebt. Irgendwelche Erklärungen hatte das Fußvolk nicht gefunden. Aber es musste doch möglich sein, alte Geschäftspartner aufzutreiben. Das war der nächste Schritt.
Warum hatte man überhaupt so unerbittlich nach Ola Ragnarssons Geschichte geforscht? Aus einem einzigen Grund: Björn Hagmans Schlupfloch. Dem Abschiedsbrief, der jetzt vor Jan-Olov Hultin lag und sich nicht richtig lesen lassen wollte.
»Ich glaube, wir sollten etwas unternehmen«, sagte Söderstedt und trat weiter Wasser. »Es ist schon ein Tag vergangen, völlig unnötig.«
»Und das ist mein Fehler?« sagte Hultin mit Eisesstimme.
»Du hast ihn gestern bekommen. Oder nicht?«
»Soll ich nun quatschen oder lesen?«
Arto Söderstedt schwieg mit verkniffenem Gesicht und trat weiter von einem Fuß auf den anderen.
»Außerdem würde ich Hjelm schicken, nicht dich. Ihr Vernehmungsobjekt hat sich ja in Luft aufgelöst. Und du hast anderes zu tun.«
»Dann quatsch los«, sagte Söderstedt.
Das Gerichtsmedizinische Institut hatte einen provisorischen Bericht verfasst. Hultin las ihn zum zweiten Mal durch.
»Falsches Blatt«, sagte Söderstedt.
»Hör auf zu quatschen«, sagte Hultin.
Schlimm war nur, dass es beiden richtig Spaß machte.
Die Gerichtsmedizin wurde immer noch von dem unglaublich überlebensgeneigten Ältesten Sigvard Qvarfordt geleitet. Seine handgeschriebenen Berichte waren allerdings durch ordentliche computergetippte Schriftstücke ersetzt worden. Dies war ein solches.
Ola Ragnarsson hatte erhebliche Mengen Talliumsulfat geschluckt, ein inzwischen verbotenes Rattengift, geschmack- und geruchlos, und war allem Anschein nach sofort daran gestorben. Der Körper dürfte zwei Wochen in der Wohnung gelegen haben und befand sich im Zustand fortgeschrittener Auflösung. Die vorläufige Untersuchung ergab keine Verdachtsmomente. Ein klassischer Selbstmord – auch wenn Schlafmittel entschieden häufiger genommen werden als Talliumsulfat.
Nichts Verdächtiges außer dem Brief.
Hultin befingerte ihn. Söderstedt nickte ihm aufmunternd zu.
»Ich bin skeptisch«, sagte Hultin.
»Du bist Legastheniker«, sagte Söderstedt. »Gib‘s zu.«
Was Jan-Olov Hultin dazu veranlasste, endlich seine Eulenbrille aufzusetzen und zu lesen.
›Ich habe nach reiflicher Überlegung beschlossen, mir das Leben zu nehmen. Der Mensch ist fähig, sehr viel zu ertragen, aber es gibt eine Grenze, und jenseits dieser Grenze kann alles geschehen. Glaubt mir, ich weiß es. Ich habe Dinge getan, mit denen kein Mensch, der trotz allem Mensch bleibt, leben kann. Und wie gern ich auch etwas anderes wäre, bleibe ich gleichwohl Mensch. Ich habe viele getötet. Ich begann schon damit, als ich noch im Geschäftsleben stand. Ich verließ die Frau, die mich liebte – ich stieß das Messer in den Leib meiner Geliebten. Ich habe nicht die getötet, die ich nicht mochte. Es waren die, die ich gern hatte. Es hatte größeren Effekt. Denn ich war auf den Effekt aus. Zu berauben. Das Feine in den Schmutz zu ziehen. Sie gerade deshalb zu töten, weil ich sie gern hatte. Ich und meine Geliebte schufen etwas Schönes – doch die, die mich liebte, verbarg es vor mir, zog das Schöne in den Schmutz und warf es fort. Zu töten wurde ein Freizeitinteresse. Ein Hobby. Ich verkaufte mein Unternehmen und lebte von den Zinsen. Es gefiel mir wirklich, zu töten. Ich hatte mich daran gewöhnt, mich über Recht und Unrecht hinwegzusetzen. Das war die Beurteilungsgrundlage der kleinen Menschen, und damit hatte ich
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