Rosenrot
Anschein nach verkommenen geschäftsführenden Direktor. Danach betrachteten sie sich gegenseitig. Klar, sie waren auf ein Muster gestoßen. Es hatte wenig mit ihrem Fall zu tun, aber das machte es gewissermaßen noch wichtiger. Dennoch konnten sie nicht genau den Finger darauf legen. Es war, als wäre der Blick in die Zukunft ebenso ein Blick in die Vergangenheit.
Zurück in die Zeit der Sklavenschiffe.
18
Arto Söderstedt wanderte durch die Auslandshalle des Arlanda International Airport. Er fühlte sich frei wie ein Vogel. Nach einem Jahr, in dem ein alter finnischer Kriegsheld namens Pertti Lindrot eine nasse Wolldecke über seine Reiselust gelegt hatte, war er jetzt wieder bereit, Europa in Angriff zu nehmen. Und Vergangenes zu vergessen.
Nein, da machte er sich etwas vor.
Das Vergangene würde er nie vergessen. Der Europa Blues hatte ihn für immer fest im Griff. Doch das durfte seine Handlungskraft nicht lähmen. Außerdem taten ihm die Zähne noch immer weh, und mehr und mehr bekam er das Gefühl, dass es nie aufhören würde. Es war der Sinn der Sache, dass der Schmerz nie aufhörte. Und er akzeptierte es.
Gleichwohl würde ein Tag in Monte Carlo nicht schaden. Über das Ligurische Meer zu blicken, die Cote d‘Azur, die Riviera. Dort war noch Sommer, und war der Spätsommer am Mittelmeer nicht das absolut beste Klima, das der Planet Tellus zu bieten hatte?
Er schwebte auf kleinen Wolken, als eine wohlbekannte Gestalt sich vor seinen Augen offenbarte. Eine Latinogestalt. »Aber was machst du hier?« platzte Arto Söderstedt heraus.
»Das gleiche könnte ich dich fragen«, sagte Chavez.
»Ich reise wieder nach Europa. Mit neuen internationalen Aufträgen.«
»Nicht zu fassen. Du verlässt uns schon wieder?«
»Nur eine Spritztour nach Monaco. Ein paar Runden um den Roulettetisch auf Kosten der Steuerzahler und dann wieder zurück. Hoffe ich.«
Und dann ging er von dannen, ohne eine Antwort auf seine Frage bekommen zu haben. Und Tatsache war, dass die Frage rhetorisch war. Sein Interesse für Chavez‘ Tun und Lassen war zum gegenwärtigen Zeitpunkt recht begrenzt.
Dass er eine halbe Stunde Schlange stehen musste, um durch die Passkontrolle zu kommen, focht ihn nicht im geringsten an. Auch nicht das leichte Chaos in der Abflughalle. Die Geschäftsleuteellenbogen, die ihn auf seinem Weg in die Maschine begleiteten, waren ihm vollkommen egal. Die unerwartete Schroffheit der französischen Stewardessen ließ ihn kalt. Der Tumult im Bus von Nizza nach Monaco spielte anderswo. Und dass das Taxi vom Busbahnhof in Monte Carlo zur Avenue d‘Ostende atemberaubende Umwege fuhr, störte ihn nicht die Bohne.
Als er die Schalterhalle der Banque du Gothards betrat, stellte er fest, dass sich seit den großen Tagen Lars Rundqvists und Ola Ragnarssons nicht viel verändert hatte. Das Marmorgefühl gehörte in die achtziger Jahre, und es war nicht ganz unwahrscheinlich, dass man in gewisser Weise noch in jener Zeit lebte. Einer Zeit, in die man sich zurückträumen konnte.
Die Namensschilder an den Kassen sahen genauso aus, wie Rundqvist sie beschrieben hatte. Goldschrift, eingraviert in eine mattschwarze Metalloberfläche. Arto Söderstedt wanderte umher und suchte nach dem richtigen Namen. Schließlich fand er ihn, unmittelbar unterhalb der Büste einer guterhaltenen Frau von etwa fünfundvierzig Jahren mit sehr französischem Aussehen. Als sie ihn anlächelte, stellte Söderstedt fest, dass Rundqvist auch in diesem Punkt recht gehabt hatte: Auch wenn sie jetzt einen anderen Namen trug, hatte der Text ihres Namensschilds noch immer exakt die gleiche Farbe wie ihr Goldzahn.
»Madame Claudine Jauret?« sagte Arto Söderstedt und zeigte seinen Polizeiausweis.
Sie nickte und vollführte eine kleine einladende Geste. Er folgte ihr wie ein Hund in einen Sitzungsraum. Dort bot sie ihm einen Platz an einem großen Marmortisch an, wartete, bis er sich gesetzt hatte, und setzte sich anschließend neben ihn.
»Vor fast zwanzig Jahren waren Sie also Mademoiselle Claudine Verdurin, Madame Jauret?« begann Söderstedt auf englisch. Er hatte von einem Mailänder Kommissar namens Italo Marconi ein wenig europäische Manieren gelernt und hatte es jetzt nicht mehr so eilig.
Madame Claudine Jauret lächelte und bot ihm ein Glas Ramlösa an. Da er inzwischen weltgewandt war, hatte er aufgehört, sich über Exportprodukte und ihre Durchschlagskraft zu wundern. Gewöhnliches Wasser mit ein wenig Kohlensäure darin war ein
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