Rosenrot
leise: »Ola hat sich das Leben genommen. Achtzehn Jahre später. In seinem Abschiedsbrief sagt er, dass er die ganze Zeit, seit Ihr Verhältnis endete, damit verbracht habe, rundum in Europa Menschen zu ermorden.«
Jetzt rannen die Tränen. Die distinguierte Madame Jauret war wieder die junge Mademoiselle Verdurin, die blutete und ein Jahr lang litt und gezwungen war, einen wichtigen Teil
ihres Lebens vor der Umwelt geheimzuhalten. Es ließ sich nicht aufhalten.
Dennoch sagte sie inmitten des Tränenstroms sehr bestimmt: »Ola Ragnarsson hat niemanden ermordet. Darauf kann ich mein Leben wetten.«
Arto Söderstedt wurde klar, dass er nicht die kleinste spätsommerliche Spiegelung der Sonne über der Cote d‘Azur genießen würde.
Er würde seinen Europa Blues nicht loswerden.
19
Krankenhauswände waren sich immer gleich, wohin man auch kam. Man konnte sie anmalen und Bilder aufhängen und sie zentimeterdick verspachteln, man würde sie doch immer als Krankenhauswände erkennen.
Auf jeden Fall Viggo Norlander, kompetenter Krankenhauswandexperte. Eine lukrative Branche.
Er war ja an einem Ort, an dem alle auf die eine oder andere Weise kompetent waren. Genauer gesagt, im Söder-Krankenhaus.
Das Söder-Krankenhaus war ein total undurchdringliches Labyrinth. Man hatte versucht, der Undurchdringlichkeit abzuhelfen, indem man verschiedenfarbige Linien auf den Fußboden gemalt hatte, doch das machte die Sache nur noch schlimmer. Früher oder später stand man immer mit der Nase vor einer Krankenhauswand. Es reichte ihm allmählich. Zum dritten Mal kehrte er zur Anmeldung zurück.
Die Angestellte hinter ihrer Glaswand seufzte nachdrücklich. »Hat es wieder nicht geklappt?« fragte sie mit eisiger Ironie.
»Ich verstehe nicht, wie ihr diesen Laden gebaut habt«, sagte Viggo Norlander. »Ihr seid doch allesamt so verdammt kompetent. Hättet ihr nicht einen kompetenten Architekten zu Rate ziehen können?«
»Aber Sie sind sich sicher, dass Sie ein kompetenter Polizeibeamter sind?« murmelte die Frau.
»Ich habe das genau gehört«, stieß Norlander aus.
Die Rezeptzionistin stand auf und klopfte heftig an die Scheibe.
Norlander duckte sich instinktiv. »Das ist Beamtenbeleidigung«, sagte er und drohte mit dem Zeigefinger.
»Machen Sie mal halblang«, sagte die Rezeptionistin und winkte wütend.
Eine Frau im weißen Kittel kam an die Anmeldung und machte ein fragendes Gesicht. Sie war engelgleich, fand Norlander. Besonders verglichen mit der Elster im Glaskäfig.
»Ylva, du arbeitest doch auf der Intensivstation?« sagte die Elster im Käfig.
»Ja«, sagte der weiße Engel.
»Kannst du nicht diesen Mann dahin mitnehmen? Er ist Polizist.«
Der Engel zögerte. »Ich wollte gerade zu Tisch gehen«, sagte sie.
»Och bitte«, flehte die Rezeptzionistin.
Der Engel sah sie einen Moment an, zuckte mit den Schultern und geleitete den Verirrten auf den rechten Weg. Der Verirrte dachte an Ariadne, und noch mehr dachte er an Beatrice, die Lichtgestalt, die den verirrten Dante zu den höchsten Höhen des Paradieses führt.
Das Krankenhauszimmer, in dem die Wanderung endete, schien eher an den Beginn von Dantes Wanderung zu gehören.
Beatrice sagte: »Hier liegt er. Die Drei. Rechts am Fenster. Jetzt muss ich aber los.«
»Danke herzlichst«, sagte Dante und trat durch die Pforten des Todesreichs. ›Lass, der du eintrittst, alle Hoffnung fahren.‹
In Bett drei lag ein Paket, dessen Gesicht nur partiell erkennbar war.
»Ein ziemlich hässlicher Unfall mit Fahrerflucht«, sagte eine Männerstimme hinter Norlanders Rücken.
Er wandte sich um. Da stand ein Arzt. Durch und durch kompetent. Norlander las das Namensschild. Mikael Svensson. Sollten Ärzte nicht mindestens Rudbeck oder von Sydow heißen? dachte Norlander einfältig.
»Waren Sie dabei, als er eingeliefert wurde?« fragte er.
Mikael Svensson nickte. »Ich arbeite jetzt seit zwanzig Stunden, es wird Zeit, dass ich nach Hause komme. Er ist heute nacht eingeliefert worden, kurz nach Mitternacht. Unfassbar zugerichtet. Er hatte ein unglaubliches Glück. Sein Gehirn ist völlig unversehrt. Der Rest ist weitgehend kaputt. Wir haben die ganze Nacht und einen großen Teil des Vormittags gebraucht, um ihn zusammenzuflicken. Ich kann Ihnen die Liste der Verletzungen vorlesen, wenn Sie wollen. Trotzdem dürfte er wieder vollständig gesund werden. Auch wenn es ein wenig dauern kann. Sind Sie ein Verwandter?«
»Ich bin Polizeibeamter«, sagte Norlander.
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