Rosenrot
hat? Du bist einer, der allein arbeitet. Du hast deine Telefonnummer doch bestimmt nicht vielen Leuten mitgeteilt, richtig?«
Nicken.
Norlander stand auf und wischte sich mit einer Serviette, die auf dem Tisch neben dem Bett gelegen hatte, das Ohr trocken. Hagman schien wegzudämmern.
Norlander legte die Hand auf Hagmans und sagte: »Danke, Björn. Und jetzt sieh zu, dass du wieder auf die Beine kommst.«
Aber als er ihn verließ, konnte er nicht umhin, an all die Wohnungen zu denken, denen in den kommenden Wochen unerwarteter nächtlicher Besuch erspart blieb.
Und er fand ganz allein den Weg aus dem Söder-Krankenhaus.
Kein Engel war in Sichtweite.
20
Sie war zu einem weiteren Tag erwacht. Sie hatte aufstehen können, die Zähne putzen, frühstücken, einen Blick in die Zeitung werfen und zur Arbeit joggen können. Das war möglich gewesen.
Und die Arbeit ging ihr flott von der Hand. Niemand schien etwas zu merken. Vielleicht wirkte sie tatsächlich wie immer. Vielleicht kann ein Mensch sich innerlich verwandeln, ohne dass jemand es an seinem Äußeren bemerkt. Vielleicht steht man niemals einem Menschen nahe genug, um so etwas zu bemerken. Man kommt eigentlich nie jemandem näher als dem Mann auf dem Sitz gegenüber in der U-Bahn, der Frau am Nachbartisch im Cafe.
Der einzige, der wenigstens etwas wusste, war in Schonen. Und sie wusste nicht einmal, ob sie sich auf Paul Hjelm verlassen konnte. Er war in den letzten Jahren eckiger geworden, vielleicht sogar erstarrt.
Etwas kam auf sie zu, kam immer näher, nur sie selbst hatte keine Möglichkeit, sich diesem Etwas zu nähern. Sie konnte nichts anderes tun, als darauf zu warten.
Sie hatte zu träumen angefangen. Heftig. Die Träume wollten ihr etwas sagen. Aber in dem Moment, in dem sie aufwachte, hatte sie sie vergessen. Sie wusste, dass sie verstehen müsste. Das war das schlimmste am gegenwärtigen Zustand: das Gefühl, dass sie wissen müsste, was mit ihr los war.
Es war, als bewegte sich die Welt mit zwei ganz verschiedenen Geschwindigkeiten. In der einen Welt wollte eine Sturmflut über sie hereinbrechen, die sie nur ahnte. In der anderen tat sie die kleinen, täppischen Schritte der Arbeit.
Schritt eins. Versuchen, Eric Mattson zu erreichen, Sachbearbeiter bei der Migrationsbehörde, unterwegs in Indien.
Schritt zwei. Ein ernsthaftes Gespräch mit Polizeiassistent Bo Ek führen.
Schritt eins beinhaltete eine Menge unnötiger Teilschritte. Die Kollegen bei der Migrationsbehörde berichteten, dass Mattson mit seiner zwanzig Jahre jüngeren neuen Frau gestern morgen mit Air France nach Bombay geflogen sei. Eine nähere Prüfung ergab, dass die Maschine um 6.55 Uhr von Arlanda abgeflogen und um 9.30 Uhr auf dem Flugplatz Charles de Gaulle bei Paris gelandet war, wo sie umsteigen mussten. Um 10.15 Uhr startete der Flug von Paris nach Bombay, wo die Maschine um 22.40 Uhr landen sollte. Es waren zwar in diesen Zeitangaben verschiedene Zeitzonen vermischt, aber trotzdem müsste Mattson sich noch in Bombay befinden, und falls er ein Handy bei sich hatte, müsste er zu erreichen sein. War er jedoch schon draußen auf dem Land, würde die Funknetzdichte vermutlich zu gering sein. Eile war geboten.
Nach einigem Wenn und Aber bekam sie eine Tochter von Eric Mattson zu fassen. Sie war noch nicht ganz zwanzig und gerade zu Hause ausgezogen, in eine Studentenwohnung auf Lappkärrsberget bei Frescati. Die Tochter wusste, dass ihr Vater ein Handy mit nach Indien genommen hatte, kannte aber die Nummer nicht. Sie waren seit einigen Jahren zerstritten. Es hing offenbar damit zusammen, dass sie eine Stiefmutter bekommen hatte, die nicht älter war als sie selbst – ein in Stockholm nicht allzu ungewöhnliches Phänomen. Wer sonst konnte die Nummer haben? Die Mutter. Eric Mattsons Exfrau. Kerstin Holm erreichte sie auf ihrer Arbeit bei der Lebensmittelprüfstelle, wo sie ihre Tage damit verbrachte, Waschmittel zu testen. Doch, sie hatte seine Handynummer. Obwohl sie ihn nicht anrufen würde, Zitat: ›Es sei denn, die Welt stünde in Flammen. Und dann auch nur, um zu kontrollieren, dass sie auch bis nach Indien reichten.‹
Die Flammen, nahm Kerstin Holm an und wählte die Nummer.
Eric Mattsons Handy war abgeschaltet, doch das spielte
keine so große Rolle. Eigentlich hätte sie es gut sein lassen können. Die erste Silbe des Anrufbeantworters entschied die Sache. In breitem Smaländisch und mit tiefer Bassstimme sagte er: ›Eric Mattson hier. Wenn es
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