Rosentod: Thriller (German Edition)
Fahrstuhl, sie die Treppe. Dabei malt sie sich aus, was ein Mann wie Maringer im Lift alles mit ihr anstellen könnte und bekommt knallrote Ohren.
In ihrem Zimmerchen angekommen, gießt sie die Zimmerlinde und zündet ein Duftlämpchen an. Vanille. Das hebt ihre Stimmung. Konzentriert tippt die Chefinspektorin ihren vorläufigen Erhebungsbericht. Kaum ist sie damit fertig, schrillt das Telefon.
„Hallo?“
Erst atmet jemand ziemlich laut. Es folgt ein Geräusch, als würde jemand seufzen. Dann ist die Leitung tot.
So ein idiotischer Anruf. Verärgert widmet sich Ulla wieder ihrem ewig präsenten Schreibkram.
Bis Dienstende hat sie noch eine Menge abzuarbeiten.
18 Uhr. Ulla Spärlich und Judith Amras speisen in einem gut besuchten italienischen Restaurant unweit der Uni.
Zwar sind sie über eine Gruppe lärmender junger Gäste nicht besonders glücklich, aber dafür bietet der Fensterplatz einen ausgezeichneten Blick auf den Park. Das wiegt den Radau fast wieder auf.
Der Kellner kommt und fragt nach ihren Wünschen.
Picatta Milanese und Salat.
Judith wählt dasselbe. Dazu einen Vino Nobile mit relativ viel Alkoholgehalt.
Ob sie gerne Italienisch esse, fragt die Studentin. Ulla nickt. Eine Marotte, meint sie. Aus einer Zeit, in der sie sich ausschließlich vegetarisch ernährte. Die Italiener haben hervorragende fleischlose Gerichte. Schmackhafte, gesunde Speisen.
Aber jetzt sei sie wieder Fleischfresserin?
Ja. Gewissermaßen. Auf Innereien oder Wild verzichte sie allerdings immer noch. Wild weniger des Geschmacks wegen. Es sei ihr bloß unerklärlich, wie jemand auf ein Reh schießen könne.
Dann reden sie über Judiths Studium, das Klima an der Universität und über Elke Röhm, die Judith angeblich nur vom Sehen her kennt.
„Was für ein Mensch ist das?“, fragt sie.
Ehe Judith Amras antworten kann, ruft Ullas Mutter an. Sie will jetzt partout etwas mit ihrer Tochter bereden. Etwas Wichtiges.
Ulla wehrt ab. Sie sei beim Essen. In Begleitung.
„In Begleitung?“, trompetet Hannelore Spärlich. „Ach, wie schön. Wie alt ist er denn?“ Es folgen Fragen nach Beruf, Wohnort und Vermögensverhältnissen. Dann noch der Ratschlag, nur ja nichts mit einem Geschiedenen anzufangen. Oder mit einem Filou.
„Ich bin mit einer Studentin zusammen“, antwortet Ulla in provokantem Tonfall. „Sehr jung. Sehr klug.“
Ratlose Stille, gefolgt von nervösem Hüsteln. Dann verlangt Mama von ihrer Tochter, sie möge morgen nach Graz kommen. Verlässlich. Treffpunkt in ihrer Wohnung. Um zwölf.
Ulla winkt ab. Sie will nicht.
Sofort spielt Mama die Kranke. Kreislaufprobleme, Kopfschmerzen und Schwindel. Das übliche Palaver, das sie abzieht, wenn einmal etwas nicht nach ihrem Willen läuft.
Was bleibt Ulla da übrig, als klein beizugeben? Wütend schaltet sie das Telefon aus und steckt es weg.
„Mutti pfeift, und das brave Mädchen springt“, grinst die Studentin spitzbübisch und zwinkert ihr zu. „Ist mir als Kind auch oft passiert.“
Der Chefinspektorin steigt das Blut zu Kopf. Jetzt macht Mama sie auch noch lächerlich. In aller Öffentlichkeit.
„Läuft etwas zwischen Frank und dir?“, fragt sie dann.
„Wir gehen miteinander aus.“
„Und was will er von dir?“, hakt Ulla nach.
„Na, was wohl“, kriegt sie zur Antwort. „Es ist doch aus zwischen euch zwei, oder?“ Ein zweifelnder Blick. „Ist es? Ist es nicht?“
„Kellner? Zahlen!“ Ulla schießt das Wasser aus den Augen. Wie unangenehm. Sie will hier keine Szene machen, aber das mit Frank muss sie erst einmal verdauen.
„Ihr habt euch doch als Freunde getrennt“, murmelt Judith perplex. „Er ist dir zu unreif, behauptet er. Jahrgang 1988. Bloß zwei Jahre älter als ich.“
Ulla schüttelt den Kopf. Raus hier. Weg.
1988, überlegt die geschichtsbewusste Chefinspektorin: Bei den olympischen Spielen von Seoul sorgen der Schwimmer Matt Biondi mit fünf und die Leichtathletin Florence Griffith-Joyner mit drei Goldmedaillen für neue Rekorde. Die irakische Luftwaffe fliegt einen Giftgasangriff auf ein kurdisches Dorf und bringt mehr als 5000 Leute um. Bush wird Präsident der USA, und die Russen ziehen aus Afghanistan ab. Im persischen Golf tobt eine Seeschlacht zwischen dem Iran und den USA, und die Amerikaner schießen irrtümlich eine iranische Verkehrsmaschine ab. Über dem schottischen Ort Lockerbie explodiert eine Bombe in einer vollbesetzten Boeing. 259 Fluggäste kommen ums Leben, und im deutschen Nordhessen fordert ein
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