Rosentod: Thriller (German Edition)
Fächern.
***
Der zweite Versuch, Frank an die Strippe zu kriegen, scheitert. Mit finsterem Gesicht schiebt Ulla das Mobiltelefon zur Seite.
Die Kantine im Tiefparterre ist halbleer, das Mittagessen lauwarm und der Salat versalzen. Die Chefinspektorin stellt die beiden Teller halbvoll zurück. Der Kuchen aus der Glasvitrine neben der Kasse ist zu süß und von der Konsistenz her zu pappig, um die Sache noch zu retten. Den Tee, oder was immer das da in ihrer Tasse sein soll, trinkt sie als Durstlöscher, wenn auch mit kaum unterdrücktem Ekel.
Wie immer brütet sie allein an einem Ecktisch und spielt mit ihrem dunklen Haar, als plötzlich Maringer vor ihr steht und sie anspricht.
„So in Gedanken?“
„Wie? Ach, Sie sind es. Hallo.“
„Darf ich Platz nehmen?“ Der Kollege setzt sich, ohne ihre Antwort abzuwarten. „Ein Supertag heute, nicht wahr? Wie läuft es?“
Lass die Quatscherei. Küss mich, kommt es ihr in den Sinn. Hier. Vor allen Leuten. Absurde Idee. Ja, aber was wäre eigentlich dagegen einzuwenden? Dass sie keine große Erfahrung mit Männern hat? Dass man in einer Betriebskantine vor den Kollegen nicht herumschmust? Stimmt. Aber wenn einem das so richtig scheißegal wäre?
„Lausig“, antwortet sie auf seine Frage und spielt mit ihrer leeren Tasse. „Lausig läuft es. Ich suche nach der Stecknadel im Heuhaufen, und das ist kein besonders angenehmes Geschäft.“
„Die meisten Vermissten tauchen ja tatsächlich von selbst wieder auf.“
Sie erzählt ihm ihre beunruhigenden Neuigkeiten. Die Sache mit dem Unterhosendiebstahl und ihr Verdacht auf ein Sexualdelikt. Er denkt kurz nach, bevor er ihr zwei Fragen stellt.
„Wo wurde sie zuletzt gesehen?“
„Im Moonlight.
„Und wie kam sie von dort weg?“
Mein Gott, ein Taxi. Endlich fällt der Groschen.
Maringer nickt. Er muss zu Nüssler und macht sich auf die Socken.
Ullas Telefon läutet. Mama ruft an und fragt nach dem Befinden. „Isst du auch brav? Und dann dieser ewige Sport, den du da machst. Da darfst du nicht übertreiben. Das ist nicht gesund. Was machst du am Freitag? Morgen. Ich hätte Theaterkarten für uns. Ein Stück von Canetti.“
Theater, überlegt Ulla. Natürlich schwärmt sie fürs Theater. Auch für Canetti. Bloß möchte sie ein solches Stück nicht mit ihrer Mutter sehen, die sich ständig als Kulturexpertin aufspielt. Kunst will stumm genossen werden. Ohne begleitende Kommentare zur Inszenierung oder Vergleiche mit Schauspielerinnen und Schauspielern von anno dazumal. „Nein, Mutter“, sagt sie. „Ich kann da leider nicht.“
Langsam registriert Ulla, wie amüsiert die Kollegen an den Nebentischen ihr Telefonat verfolgen. Hier die Witzfigur abzugeben, fehlte ihr gerade noch. Wütend verlässt sie die Kantine.
Diese Leute hier nützen doch wirklich jede Möglichkeit, ihr auf den Keks zu gehen, geht es ihr durch den Sinn, als sie ins Parterre stapft.
Ulla muss jetzt raus hier.
Wenn sie nicht aufpasst, wird sie in diesem Dunst aus Missgunst und Schadenfreude noch ersticken.
Wenn man einer Ulla Spärlich einmal die Laune verdirbt, hält das lange an.
Mürrisch betritt die Chefinspektorin die städtische Taxileitstelle. „Werden alle Wagen im Bezirk von euch betreut?“, erkundigt sie sich beim stämmigen älteren Herrn am Funkgerät.
„Korrekt. Wenn auswärtige Taxis bei uns verkehren, melden sie sich auch bei uns an. Das ist so üblich.“
„Und wenn jemand nach einem Taxi telefoniert, läuft dieses Gespräch verlässlich über Ihre Zentrale, nicht wahr?“
„Genau. Unsere Apparate sind in Serie geschaltet, und die Zuteilung der Wagen erfolgt nach der Reihenfolge der eingetroffenen Anrufe. Die Gespräche werden gespeichert. Wir bewahren die Tondokumente einen Monat lang auf.“
Die Chefinspektorin interessiert sich für einen Anruf vom 21. März, zwischen zwei und drei Uhr früh.
Nach ein paar Minuten finden sie den Anruf. Um fünf Minuten nach halb drei ersucht eine Frau mit heller Mädchenstimme darum, am Parkplatz vor dem Moonlight abgeholt zu werden. Ulla Spärlich kopiert den Anruf auf einen USB-Stick und kündigt den Besuch eines Experten an, der die Festplatte sicherstellen wird. Dann will sie wissen, welcher Chauffeur das Mädchen abholte.
„Walter Möslacher. Wagen 13.“
Ein kurzer Anruf. Es dauert bloß eine Viertelstunde, bis der Zeuge in der Zentrale auftaucht. Möslachers Taxi ist ein Volvo, weiß lackiert, und der Fahrer ist klein, dick und hat beinahe keine Haare mehr auf
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